Udo Leuschner / Geschichte der FDP (21)

10. Bundestag 1983 - 1986


Milliarden-Kredite für die DDR

Trotz kurzer Trübung wegen eines Grenzzwischenfalls werden die deutsch-deutschen Beziehungen noch enger als zuvor

In der Deutschland- und Ostpolitik hatte bereits die erste Regierung von Helmut Kohl zu erkennen gegeben, daß sie die von der sozialliberalen Koalition getroffenen Vereinbarungen einhalten und fortentwickeln werde. Sichtbarer Garant dafür war Hans-Dietrich Genscher, der seit 1974 ununterbrochen als Außenminister amtierte. Schon vor den Neuwahlen reiste Wohnungsbauminister Oscar Schneider (CDU) zu einem offiziellen Besuch nach Magdeburg, wo er eine Ausstellung eröffnete und ein Gespräch mit seinem DDR-Kollegen Wolfgang Junker führte. Der CDU-Politiker Walter Leisler-Kiep traf sich zu einem Gespräch über die Elbe-Verschmutzung mit dem SED-Wirtschaftslenker Günter Mittag. Staatsminister Philipp Jenninger vom Bundeskanzleramt ließ den DDR-Außenminister Oskar Fischer bei einem Besuch in Ostberlin wissen, daß Kohl nach seiner Wiederwahl den Besuch Honeckers erwarte. Nach dem Wahlsieg der Koalition reiste Günter Mittag im April 1983 nach Bonn, wo er mit Bundeswirtschaftsminister Lambsdorff, Hans-Jochen Vogel (SPD), Wolfgang Mischnick (FDP) und Alfred Dregger (CDU) zusammentraf.

Strauß schwadroniert von "Mord" - Honecker verzichtet auf geplanten Besuch

Höhepunkt des Mittag-Besuchs in Bonn sollte ein Gespräch mit Bundeskanzler Kohl über den geplanten Honecker-Besuch sein. Aber dazu kam es nicht mehr, weil sich am 10. April ein unglücklicher Zwischenfall an der Grenze ereignete: Ein Bundesbürger war wegen Verletzung der Transitreisebestimmungen von DDR-Grenzern festgenommen worden und während seiner Vernehmung an einem Herzinfarkt gestorben. Genscher und Kohl wollten den Vorfall möglichst niedrig hängen. Aber ein Teil der Medien und der bayerische Koalitionspartner sahen darin die Gelegenheit, die "Wende" auch auf dem Gebiet der Deutschlandpolitik durchzusetzen: Vor allem die Springer-Presse schürte den Argwohn, der Verstorbene sei von DDR-Grenzern "regelrecht totgeschlagen worden". Der bayerische Ministerpräsident Strauß schwadronierte sogar von einem "Mordfall". Die CSU-Postille "Bayernkurier" beschimpfte Lambsdorff als "großen Beschwichtiger", weil er die "Herzinfarkt-Entschuldigung" der DDR akzeptiere. CSU-Generalsekretär Otto Wiesheu betonte, es sei höchste Zeit, daß im Denken und Verhalten bestimmter FDP-Politiker endlich "die Wende eintritt".

Einen Moment schien es, als seien die Geister des Kalten Kriegs zurückgekehrt. Kohl bat Honecker telefonisch um Verständnis dafür, daß er in dieser Situation Mittag nicht empfangen könne. Genscher plädierte weiter für einen baldigen Besuch Honeckers in der Bundesrepublik. Am 29. April ließ Honecker aber mitteilen, daß er unter diesen Umständen von der Visite Abstand nehme.

Strauß vermittelt Honecker Milliarden-Kredit - Die FDP reagiert vergrätzt

Nur acht Wochen später kam es zu einer dramatischen Wendung in der Deutschlandpolitik: Derselbe Strauß, der eben noch der DDR den Herzinfarkt eines Bundesbürgers als "Mordfall" anzulasten versuchte, vermittelte dem notleidenden SED-Regime einen Banken-Kredit über eine Milliarde Mark. Am 1. Juli wurde der Kreditvertrag in der Bayerischen Landesbank in München unterzeichnet. Aufgrund eines Kabinettsbeschlusses vom 29. Juni verbürgte die Bundesregierung die Rückzahlung der Kreditsumme in voller Höhe.

Die FDP hatte dem Kredit im Kabinett ebenfalls zugestimmt, war aber sichtlich vergrätzt darüber, wie der verhinderte Außenminister Strauß sich in ihre Domäne einmischte. Ein heikler Punkt bei dem Geschäft war, daß die Bundesregierung sämtliche Risiken und Kosten des Kredits übernahm und so den beteiligten Banken ein ungewöhnlich sattes Zins-Geschäft sicherte. Daran mochte auch die FDP nicht rühren. Ihr Bundeswirtschaftsminister Lambsdorff sah vielmehr den Status West-Berlins gefährdet, weil die Treuhandstelle für den innerdeutschen Handel nicht einbezogen worden sei: "Wenn wir so etwas gemacht hätten, hätte Herr Strauß uns als laienhafte Anfänger ... und Amateure gekennzeichnet." Strauß hielt das für "reine Profilierungssucht" und forderte Lambsdorff auf, die Bundesregierung zu verlassen, wenn er die Kreditgewährung ablehne.

Der Saulus wandelt sich weiter zum Paulus

Für die CSU war die 180-Grad-Wendung ihres Parteifürsten ebenfalls eine Zumutung. Auf dem Parteitag im Juli 1983 erzielte Strauß mit "nur" 77 Prozent den niedrigsten Anteil an Ja-Stimmen, seitdem er 1961 erstmals zum CSU-Vorsitzenden gewählt worden war. Er verteidigte vor den Delegierten die Kreditvergabe, indem er sie in die Kontinuität des innerdeutschen Handels stellte, den bereits Konrad Adenauer 1951 in die Wege geleitet habe. Wer den Kredit beanstande, müsse folgerichtig auch Adenauer kritisieren...

Strauß beließ es nicht bei diesem Paukenschlag in der Deutschlandpolitik: Vom 17. bis 27. Juli 1983 begab er sich auf eine "private" Rundreise durch die CSSR, Polen und die DDR. In Polen bekundete er Verständnis für General Jaruzelski, der sich eben anschickte, das Kriegsrecht wieder aufzuheben, daß er im Dezember 1981 verhängt hatte, um eine drohende Intervention der Sowjets zu verhindern. Am 24. Juli traf Strauß mit SED-Chef Honecker zu einem zweistündigen Gespräch zusammen. Anschließend äußerte er die Ansicht, daß die geplante Raketenstationierung nicht zwangsläufig das Verhältnis zwischen beiden deutschen Staaten beeinträchtigen müsse. - Die FDP empfand auch diese Reisen als Einmischung in ihre ureigene Domäne. Pikiert wie sie darauf hin, daß Strauß weder ein "außenpolitischer Botschafter" noch ein "Nebenaußenpolitiker" sei.

Jedenfalls war die Gefahr einer neuen Verhärtung der deutsch-deutschen Beziehungen vorbei. Unter der Regierung Helmut Kohls wurden die Kontakte zwischen Bonn und Ostberlin sogar noch enger als unter der sozialliberalen Koalition, die den Kurswechsel von der Konfrontation zur Kooperation gegen den heftigen Widerstand der Unionsparteien durchgesetzt hatte. Auch die Unionsfraktion sprach nun von einer "Verantwortungsgemeinschaft" zwischen beiden deutschen Staaten. Wechselseitige Besuche von Politikern waren an der Tagesordnung. Zum Beispiel traf am 15. September 1983 der Berliner Regierende Bürgermeister Richard von Weizsäcker mit SED-Chef Honecker zusammen, während am selben Tag der SPD-Bundesgeschäftsführer Peter Glotz beim SED-Politbüromitglied Kurt Hager weilte. Am 31. Oktober empfing Honecker erstmals auch eine Delegation der Grünen, wobei dieses Treffen das noch am wenigsten harmonische war, weil die Grünen auch auf Abrüstungsschritte im Osten drängten und die Repressalien gegenüber der Friedensbewegung in der DDR kritisierten.

Noch ein Milliarden-Kredit für die DDR

Am 25. Juli 1984 übernahm die Bundesregierung die Garantie für einen weiteren Kredit westdeutscher Banken an die DDR in Höhe von 950 Millionen Mark. Die DDR revanchierte sich mit Erleichterungen im Reiseverkehr zwischen beiden deutschen Staaten. "Wir setzen auf Dialog und Zusammenarbeit", begründete Staatsminister Philipp Jenninger vor der Bundespressekonferenz die erneute Hilfestellung für die hoch verschuldete und längst über ihre Verhältnisse lebende DDR. "Wir meinen es ernst, wenn wir von einer 'Verantwortungsgemeinschaft' und von einer 'Koalition der Vernunft' sprechen."

Der Besuch Honeckers in der Bundesrepublik, der im April 1983 abgesagt worden war, sollte nun im September 1984 stattfinden. Die DDR hatte den Milliardenkredit und andere Elemente ihrer Deutschlandpolitik allerdings nicht mit dem Kreml abgesprochen, wo nach dem Tod Andropows und mit dem Amtsantritt Tschernenkos im Februar 1984 eine Art "kleine Eiszeit" begonnen hatte. Am 17. August 1984 bekam die DDR-Führung bei einem Geheimtreffen in Moskau ungewöhnlich scharfe Kritik zu hören. Unter dem massiven Druck der sowjetischen Genossen mußte Honecker seinen unmittelbar bevorstehenden Besuch in der Bundesrepublik am 4. September erneut absagen.

Herbert Häber war auch für FDP-Politiker ein begehrter Gesprächspartner

Vor diesem Hintergrund opferte Honecker ein Jahr später den Architekten seiner Deutschlandpolitik, Herbert Häber, der als Leiter der SED-Westabteilung die "Politik der kleinen Schritte" zwischen beiden deutschen Staaten seit den siebziger Jahren maßgeblich gestaltet hatte. Häbers tiefer Sturz führte im November 1985 vom Politbüro direkt in die Psychiatrie. Anschließend wurde er auf einen bedeutungslosen Posten abgeschoben.

Bis dahin war Häber für Politiker aller Bundestagsparteien ein begehrter Gesprächspartner gewesen. Den ersten Kontakt mit einem verantwortlichen FDP-Politiker hatte er im März 1978 als Gast des parlamentarischen Geschäftsführers Kurt Spitzmüller. Es folgten weitere - meistens mehrfache - Begegnungen mit Wolfgang Mischnick (Fraktionsvorsitzender), Hans-Günter Hoppe, Kurt Jung und Hans A. Engelhard (stellvertretende Fraktionsvorsitzende), Torsten Wolfgramm (parlamentarischer Geschäftsführer), Fritz Fliszar (Bundesgeschäftsführer), Günter Verheugen (Generalsekretär), William Borm (Präsidiumsmitglied) und Uwe Ronneburger (Parteivorstand). Die letzten Unterredungen mit führenden FDP-Politikern hatte Häber im Mai 1985 mit Martin Bangemann (Parteivorsitzender und Bundeswirtschaftsminister) sowie im Juni 1985 mit Uwe Ronneburger (stellvertretender Fraktionsvorsitzender) und Helmut Schäfer (außenpolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion).

Im Oktober 1981 mußte sich Häber gegenüber Honecker rechtfertigen, weil er über ein Abendessen, das die bundesdeutsche Vertretung in Ostberlin aus Anlaß eines Besuchs von Uwe Ronneburger gab, keinen Bericht angefertigt hatte. Den Medien war nämlich zu entnehmen, daß der FDP-Politiker wichtige Gespräche in der Hauptstadt der DDR geführt habe. Häber klärte Honecker darüber auf, daß Ronneburger lediglich angegeben hatte:

"Nach Beendigung der Zusammenkunft war ich mir mit Genossen Seidel, Leiter der Abteilung BRD im MfAA, einig, daß es keinen Anlaß gibt, über diesen Abend eine Information anzufertigen. Herr Bölling hatte einen solch gemischten Kreis eingeladen, der eine ernstzunehmende und informative Diskussion mit Ronneburger nicht möglich machte. Ich selbst hatte lediglich Gelegenheit, Herrn Ronneburger zu begrüßen und ihm dann auf Wiedersehen zu sagen, verbunden mit dem Hinweis, daß wir uns eventuell bei Gelegenheit in Bonn einmal sprechen werden. Außerdem hatte ich keine Neigung, in Anwesenheit der Botschafter der USA und Großbritanniens sowie von BRD-Journalisten wie Schwarze und Cramer eine intensive Diskussion mit Herrn Ronneburger zu führen. Die Gespräche von Ronneburger mit Genossen Seidel sowie mit Genossen Max Schmidt waren ebenfalls nach Auskunft der beiden Genossen ganz allgemein und bezogen sich lediglich auf die besondere Verantwortung beider deutscher Staaten für den Frieden. Möglicherweise war Herr Ronneburger gar nicht sehr froh darüber, zum Abendessen eine Runde von fast 20 Personen vorzufinden, wodurch eine ordentliche Unterhaltung nicht gelingen konnte."

Häber war vermutlich der klügste Kopf im Politbüro der SED, dessen Mitglieder sonst einen ziemlich bescheidenen Zuschnitt hatten. Es ging ihm um die Sache, nicht um die Karriere. Dies wurde ihm zum Verhängnis, als die DDR-Führung, die eben noch von den Gerontokraten im Kreml der mangelnden Standfestigkeit gegenüber dem Westen geziehen worden war, vom Reformprozeß in der Sowjetunion überholt wurde und sich nun ihrerseits gegen Veränderungen abzuschotten versuchte. Denn Tschernenko war im März 1985 gestorben und mit Michail Gorbatschow ein neuer Generalsekretär angetreten, der offenbar eher das Format seines Vor-Vorgängers Andropow hatte. Häbers Demontage erfolgte unter diesen Umständen zu spät, um noch als Kotau vor dem Kreml verstanden werden zu können. Vermutlich wollte Honecker vor allem die Scharfmacher im eigenen Politbüro wie den Stasi-Minister Mielke besänftigen. Wie zum Hohn wurde Häber gleichzeitig mit Konrad Naumann aus dem Politbüro ausgeschlossen, einem übel beleumundeten Alkoholiker und Weiberhelden.

Zu einem grundsätzlichen Kurswechsel in der Deutschlandpolitik kam es aber nie. Auch nach der scharfen Kritik aus Moskau und der erzwungenen Absage seines Besuchs in Bonn plädierte Honecker im November 1984 vor dem SED-Zentralkomitee weiterhin für eine "weltweite Koalition der Vernunft und des Realismus". Die deutsch-deutschen Kontakte gingen unvermindert weiter. Zum Beispiel traf der FDP-Politiker Bangemann am 11. März 1985 mit Erich Honecker und dem Politbüro-Mitglied Günter Mittag zusammen. Honecker reiste anschließend zur Beisetzung Tschernenkos nach Moskau, wobei er die Gelegenheit nutzte, um sich dort mit dem westdeutschen Bundeskanzler Helmut Kohl zu treffen.

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