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(Aus: Udo Leuschner, „Kurzschluß - wie unsere Stromversorgung teurer und schlechter wurde“, S. 169 - 174)

 

Amerika – du hast es schlechter

In den USA zeigten sich die negativen Auswirkungen der Deregulierung früher und deutlicher

Ganz am Anfang des großen Stromausfalls in den USA und Kanada stand eine banale Leitungsstörung im nördlichen Ohio, die sich aber durch Mängel bei Kraftwerkskapazitäten und Netzbetrieb binnen einer Stunde zur Katastrophe auswuchs: Diese Grafiken zeigen die letzte Phase am 14. August 2003 ab 16.05 Uhr, als der kaskadenartig sich ausbreitende Zusammenbruch der Stromversorgung nicht mehr aufzuhalten war und binnen sechs Minuten ein riesiges Gebiet rund um die Großen Seen lahmlegte.

16.05 Uhr: Der Stromausfall beschränkt sich noch auf die engere Umgebung von Cleveland (grau). Wegen des Ausfalls von drei 345-kV-Leitungen suchen sich die Stromflüsse ihren Weg über das 138-kV-Netz zum Verbrauchsschwerpunkt am Erie-See, wodurch zwischen 15.39 und 16.09 Uhr über ein Dutzend weitere Leitungen wegen Überlastung abschalten. 16.10 Uhr: Das vom Stromausfall betroffene Gebiet ist größer geworden. Die schwarze Linie markiert die Grenze, über die kein Stromaustausch mehr möglich ist. Der Stromfluß sucht sich seinen Weg deshalb weit östlich und westlich der unterbrochenen Verbindungen herum zu den Verbrauchsschwerpunkten im Norden. 16.13 Uhr: Der Stromausfall hat sogar New York erfaßt. Die Verbindungen mit Kanada sind wegen Überlastung zusammengebrochen. Auch die Leitungen zwischen den Bundesstaaten Pennsylvania und New York sind unterbrochen, das Netz des Bundesstaats New York in eine westliche und östliche Hälfte geteilt und die Neu-England-Staaten abgekoppelt.

 

Während Deutschland und andere Länder des UCTE-Verbundsystems noch von Sicherheitspolstern der Vergangenheit zehren konnten, zeigte sich in den USA bereits, wie die Deregulierung die Versorgungssicherheit beeinträchtigt. Hier häuften sich die Stromausfälle in jenen Bundesstaaten, in denen die Deregulierung aufgrund des 1992 vom Kongress beschlossenen neuen Energiesetzes am weitesten vorangeschritten war.

Die US-amerikanische Stromversorgung gliedert sich in drei Verbundsysteme, zwischen denen der Stromaustausch nur in mehr oder weniger geringem Umfang möglich ist. Mangels einer zentralen Lastverteilung innerhalb ihres jeweiligen Gebiets sind diese Verbundsysteme auch nicht mit den deutschen Regelbereichen vergleichbar, sondern eher – jedes für sich – mit der Kooperation von technisch autarken Netzpartnern innerhalb des westeuropäischen Verbundnetzes der UCTE. Indessen verfügen sie nicht über die technische Qualität, die Reserven und die enge Vermaschung des europäischen Verbundnetzes. Im Norden greifen diese Verbundsysteme von den USA nach Kanada über. Im Süden gibt es Verbindungen nach Mexiko. Am größten ist Eastern Interconnection, gefolgt von Western Interconnection und Texas Interconnection. 

Das Verbundsystem WSCC zerfällt innerhalb sechs Wochen zweimal in mehrere Inseln

Am 2. Juli 1996 kam es im Verbundsystem Western Interconnection (WSCC) zu Stromausfällen, die bis zu sieben Stunden andauerte und rund zwei Millionen Kunden betrafen. Ursache war ein Blitzschlag, der die Abschaltung von zwei Hochspannungsleitungen und dadurch die Abschaltung von zwei Kraftwerksblöcken auslöste. Der starke Spannungsabfall im Versorgungsgebiet des Kraftwerks, der dadurch entstand, löste in einem Dominoeffekt weitere Abschaltungen aus und ließ das Verbundsystem zusammenbrechen: Es bildeten sich fünf Inseln innerhalb des Verbundsystems, deren Kraftwerke sich nicht mehr gegenseitig aushelfen konnten und in deren Bereich es deshalb zu starken Frequenzeinbrüchen mit Lastabschaltungen kam. So sank im Bereich der größten Strominsel, die Kalifornien, Arizona und New Mexico umfaßte, die Frequenz von den üblichen 60 Hertz auf 59,1 Hertz.

Nur sechs Wochen später, am 10. August 1996, gingen im Verbundsystem des WSCC erneut die Lichter aus. Dieses Mal mußten rund vier Millionen Menschen in neun Bundesstaaten bis zu acht Stunden ohne Strom auskommen. Der Zusammenbruch des Verbundsystems wurde dadurch ausgelöst, daß infolge der Sommerhitze etliche Hochspannungsleitungen ins Pendeln gerieten und Bäume kontaktierten, was die Abschaltung zur Folge hatte. Weil das Verbundsystem durch die massenhaft eingeschalteten Klimaanlagen äußerst stark belastet war, kam es darauf in einem Domino-Effekt zur Abschaltung weiterer Leitungen. Am Ende zerfiel das Verbundsystem wieder in mehrere Versorgungs-Inseln.

Den Hintergrund solcher Ausfälle bildete die Vernachlässigung von Kraftwerken und Netzen. Wie die „Financial Times Deutschland“ im Juli 2000 in einem Korrespondentenbericht aus New York schrieb, hätten nach Ansicht des US-Energieministeriums tausend neue Kraftwerke gebaut werden müssen, um alte Anlagen zu ersetzen und den wachsenden Strombedarf zu befriedigen, der sich von 1990 bis 1997 um fast 15 Prozent auf 7287 Milliarden Kilowattstunden erhöht hatte. Großer Erneuerungs- und Ausbaubedarf bestehe auch beim Netz der Stromversorgung. In beiden Fällen zeigten die Unternehmen jedoch wenig Bereitschaft zu Investitionen, da sie Konkurrenznachteile befürchteten. Energiesparen sei in den USA längst kein Thema mehr. Selbst der Staat zeige kein Interesse mehr daran, den in den siebziger Jahren beschlossenen Energiespargesetzen zur Geltung zu verhelfen.

Elektrizitätsalarm in Kalifornien

Im Dezember 2000 riefen die kalifornischen Behörden erstmals einen Elektrizitätsalarm der höchsten Dringlichkeitsstufe 3 aus, weil die Stromerzeugungsreserven unter 1,5 Prozent gefallen waren und der Zusammenbruch des Netzes drohte. Ursache der Stromknappheit war ein erhöhter Stromverbrauch infolge kühler Witterung, während gleichzeitig mehr Kraftwerke als üblich wegen notwendiger Reparaturarbeiten ganz oder teilweise nicht zur Verfügung standen.

Von Januar bis Ende Mai 2001 wurde in Kalifornien an insgesamt 38 Tagen die dritte und höchste Stufe des Elektrizitäts-Alarms ausgerufen, die es dem halbstaatlichen Netzbetreiber CAISO ermöglichte, flächendeckende Stromabschaltungen vorzunehmen, um einen Zusammenbruch des Gesamtnetzes zu verhindern. Die kalifornische Regulierungsbehörde Public Utilities Commission (PUC) verordnete schließlich drastische Preiserhöhungen, um den Stromverbrauch zu senken: Wer seinen „Basisverbrauch“ um mehr als 30 Prozent überschritt, zahlte Aufschläge bis zu 55 Prozent.

Stromkrise aus Profitgier herbeigeführt

Schon im März 2001 äußerte der Netzbetreiber CAISO den Verdacht, die Stromknappheit sei nicht allein mit unzureichenden Kraftwerkskapazitäten zu erklären, sondern sogar künstlich herbeigeführt worden: Die Stromerzeuger hätten das Angebot an elektrischer Energie absichtlich verringert, um die Preise in die Höhe zu treiben. Sie hätten auf diese Weise bis zu sechs Milliarden Dollar zu Unrecht kassiert.

Der Verdacht wurde zur Gewißheit, als der Energiekonzern Enron zusammenbrach und neben anderen Machenschaften dessen Methoden zur Manipulierung des Strommarktes ans Tageslicht kamen. Die Federal Energy Regulatory Commission (FERC) begann daraufhin mit der Überprüfung von mehr als hundert Energieunternehmen, die im Verdacht standen, sich an diesen Praktiken beteiligt und davon profitiert zu haben. Im März 2003 legte FERC einen Untersuchungsbericht vor, wonach der Versorgungskrise ein „Ungleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage“ zugrunde lag, das zusammen mit einer „mangelhaften Marktverfassung“ ein „fruchtbares Umfeld für Marktmanipulationen“ geboten habe. Neben Enron waren daran maßgeblich auch Reliant und BP Energy beteiligt. Zudem hatten mehr als dreißig Energiefirmen und kommunale Stromversorger dem Enron-Konzern bei dessen betrügerischen Machenschaften geholfen und sich durch die Stromkrise bereichert. Die beschuldigten Energiefirmen wurden zur Rückzahlung von insgesamt 3,3 Milliarden Dollar verpflichtet. Nach Ansicht der kalifornischen Regierung war dies viel zu wenig: Sie verlangte von den Firmen, die sich an der Manipulation des Strommarktes beteiligt haben, die Erstattung von insgesamt rund neun Milliarden Dollar.

Blackout im Nordosten der USA und Teilen Kanadas

Am 14. August 2003 kam es im größten der drei amerikanischen Verbundsysteme, der Eastern Interconnection, zu einem flächendeckenden Stromausfall, der den Nordosten der USA und den Südosten Kanadas lahmlegte. Betroffen waren bis zu 50 Millionen Menschen in einem Gebiet von der Größe Deutschlands, Frankreichs und der Benelux-Staaten. Dazu gehörten Großstädte wie New York, Detroit, Cleveland, Toronto und Ottawa. In den Bundesstaaten New York und New Jersey wurde der Notstand ausgerufen.

Der „Blackout“ begann kurz nach 16 Uhr und konnte erst im Laufe des folgenden Tags schrittweise behoben werden, wobei es noch immer zu einzelnen Störungen und Abschaltungen kam. Während der Nacht versanken deshalb Städte wie New York in Dunkelheit. In Ottawa kam es zu Plünderungen. Vielfach herrschten chaotische Zustände, weil Verkehrsmittel, Aufzüge und andere elektrischen Anlagen nicht mehr funktionierten.

Die Ursache war eine banale Störung, die im Netzbetrieb fast alltäglich ist: Ein Baum war einer Hochspannungsleitung zu nahe gekommen. Daß sie sich zu einem katastrophalen Stromausfall ausweiten konnte, war die Schuld der zuständigen Kraftwerks- und Netzbetreiber. Zu diesem Schluß gelangte im November die Expertenkommission, die im Auftrag der Regierungen der USA und Kanadas den großflächigen Netzzusammenbruch untersuchte. Die Hauptschuld traf das Unternehmen „First Energy“ (FE), das den nördlichen Teil des Bundesstaats Ohio mit Strom versorgt und schon vorher durch massive Verstöße gegen Sicherheitsbestimmungen aufgefallen war. First Energy hatte die in seinem Regelbereich („control area“) aufgetretenen Störungen nicht rechtzeitig erkannt, keine angemessenen Gegenmaßnahmen ergriffen und die möglichen Auswirkungen auf andere Netze falsch beurteilt. Mitverantwortung trug aber auch der unabhängigen Netzkoordinator MISO, der als „reliability coordinator“ in größerem Rahmen für den Regelbereich von FE zuständig war. Generell offenbarte der Bericht einen Mangel an fachlicher Kompetenz, an geeigneten technischen Hilfsmitteln zur Netzdiagnose und an Abstimmung unter den Netzbetreibern. Darüber hinaus wurde im Vorfeld des Stromausfalls eine simple Wartungsarbeit wie das Beschneiden der Bäume entlang der Hochspannungsleitungen vernachlässigt, was die Ursache für den Ausfall der ersten drei 345-kV-Leitungen war.

„First Energy“ gab Geld für Lobby-Arbeit aus statt zur Behebung von Mängeln

Dieser Stromausfall unterstrich erneut, daß Deregulierung grundsätzlich die Versorgungssicherheit gefährdet und deshalb unbedingt durch eine straffe Regulierung aller diesbezüglichen Bereiche ergänzt werden muß. Die groben Verstöße von „First Energy“ (FE) zeigten musterhaft, wohin es führt, wenn man die Stromwirtschaft einem kurzfristigen „Shareholder value“-Denken überläßt: FE hatte die Ausgaben für den Unterhalt der Leitungen in den letzten Jahren gekürzt, anstatt das Netz den erhöhten Anforderungen anzupassen. Anfang 2002 hatte ein FE-Kernkraftwerk am Erie-See stillgelegt werden müssen, weil ein Reaktorkessel von Säure fast durchgefressen war und damit eine Katastrophe ähnlich wie 1979 beim Reaktor Three Mile Islands drohte. Mehrere ehemalige Angestellte des Stromkonzerns hatten sich beim US-Arbeitsministerium beklagt, weil sie entlassen worden waren, nachdem sie auf Mängel aufmerksam gemacht hatten. Statt diese Mängel zu beheben, gab FE viel Geld für Lobby-Arbeit aus. Unter anderem wurde so der US-Präsident Bush veranlaßt, das im Wahlkampf abgegebene Versprechen einer Verschärfung der Umweltschutzauflagen für Kraftwerke zurückzunehmen.