Januar 1998

980101

ENERGIE-CHRONIK


Bundesverwaltungsgericht lehnt Revision ab: Mühlheim-Kärlich bleibt abgeschaltet

Das Kernkraftwerk Mülheim-Kärlich bleibt abgeschaltet. Am 14.1. wies das Bundesverwaltungsgericht die Revision des Betreibers RWE Energie gegen ein 1995 ergangenes Urteil des Oberverwaltungsgerichts Koblenz (951101) zurück, das die neugefaßte erste Teilgenehmigung aus dem Jahr 1990 erneut aufgehoben hatte, weil bei der Prüfung der Erdbebensicherheit Fehler unterlaufen seien. Der 11. Senat des Bundesverwaltungsgerichts erklärte in seiner mündlichen Urteilsbegründung, daß es nicht Aufgabe des Gerichts sei, Defizite bei der Sicherheitsanalyse durch weitere Aufklärung zu beseitigen. Die diesbezüglichen Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts verstießen nicht gegen allgemeine Grundsätze der Sachverhalts- und Beweiswürdigung. Sie seien daher für das Revisionsgericht bindend. Das Bundesverwaltungsgericht habe auch nicht zu bewerten gehabt, daß das Koblenzer Gericht bei der Untersuchung der Erdbebensicherheit "außerordentlich kritisch vorgegangen sein mag" (FAZ, 15.1.).

Für die RWE Energie, die bereits Vorbereitungen für die Wiederinbetriebnahme des Reaktors getroffen hatte, kam das Urteil überraschend. Nach den Worten ihres Vorstandsmitglieds Werner Hlubek wird damit "der Betrieb eines der weltweit sichersten Kernkraftwerke aus rein formaljuristischen Gründen weiter verhindert". Das Unternehmen werde die schriftliche Urteilsbegründung abwarten und nach sorgfältiger Analyse weitere Schritte prüfen. Falls es zu einer endgültigen Stillegung des Reaktors kommen sollte, würde der Abriß etwa zehn Jahre dauern und rund eine Milliarde Mark kosten.

Rechtsstreit dauert schon ein Jahrzehnt

Der 1300-MW-Reaktor in Mülheim-Kärlich kostete sieben Milliarden Mark. Er wurde 1975 begonnen und ging wegen etlicher Verzögerungen schon während des Baues erst im März 1986 ans Netz. Am 9.9.1988 hob dann das Bundesverwaltungsgericht die erste Teilgenehmigung aus dem Jahre 1975 wegen mehrerer Mängel auf. Unter anderem war der Standort nachträglich um dreißig Meter verschoben worden, um zu vermeiden, daß der Reaktor auf einer Kante zwischen zwei Erdplatten errichtet wurde. Das Kernkraftwerk mußte aufgrund dieses Urteils abgeschaltet werden. Die Mainzer Landesregierung erteilte daraufhin im Juli 1990 eine neue erste Teilgenehmigung, die aber nicht mit Sofortvollzug ausgestattet wurde, so daß die Anlage weiterhin abgeschaltet blieb. Im Mai 1991 hob das Oberverwaltungsgericht Koblenz auch die neue Teilgenehmigung auf, weil die Genehmigungsbehörde nicht sorgfältig geprüft habe, ob die Anlage nach dem neuesten Stand der Technik ausreichend gegen Unfälle ausgelegt sei. RWE Energie legte gegen dieses Urteil Revisionsbeschwerde beim Bundesverwaltungsgericht ein (910712), das daraufhin die Revision zuließ (920314) und im März 1993 den Prozeß an das Oberverwaltungsgericht zurückverwies (930302). Das Bundesverwaltungsgericht teilte zwar nicht die Auffassung der Koblenzer Richter, daß die neue erste Teilgenehmigung grundsätzlich unzureichend sei, hielt aber eine nochmalige Prüfung der Frage der Standortsicherheit, besonders mit Blick auf die Erdbebengefahr, für geboten. Der Versuch von RWE Energie, auf der Grundlage dieses höchstinstanzlichen Urteils eine Genehmigung für den sofortigen Betrieb der Anlage zu erreichen, blieb erfolglos (930511 u. 930709). Im November 1995 hob dann das Oberverwaltungsgericht die nachgebesserte erste Teilgenehmigung erneut auf, weil die Erdbebensicherheit nicht hinreichend geprüft worden sei (951101). Das Urteil sah keine Revisionsmöglichkeit vor. Erst aufgrund der Nichtzulassungsbeschwerde von RWE Energie ließ das Bundesverwaltungsgericht dann doch die Revision zu, die mit der jetzt bekanntgegebenen Entscheidung endete.

Neben dem Prozeß um die Inbetriebnahme von Mülheim-Kärlich betrieb RWE Energie eine Schadenersatzklage gegen das Land Rheinland-Pfalz, die sowohl vor dem Landgericht Mainz (920607) als auch vor dem Oberlandesgericht Koblenz (950403) erfolgreich war. Anfang 1997 bestätigte auch der Bundesgerichtshof, daß das Land die Hälfte des Schadens ersetzen müsse, der durch die fehlerhaften Teilgenehmigungen bzw. den erzwungenen Stillstand des Reaktors entstanden war. Er beschränkte den Anspruch aber im wesentlichen auf die Investitionskosten (970112). Über den genauen Umfang der Schadenersatzansprüche wird das Oberverwaltungsgericht Koblenz befinden müssen.