Juni 1995

950601

ENERGIE-CHRONIK


Neue Gesprächsrunde über Energiekonsens beim dritten Treffen gescheitert

Die neue Gesprächsrunde über einen Energiekonsens ist am 21.6. beim dritten Treffen gescheitert, weil sich Regierungskoalition und SPD nicht über eine gemeinsame Formulierung zur Option für die Entwicklung neuer Kernkraftwerke einigen konnten. Nach den Worten von Bundeswirtschaftsminister Günter Rexrodt (FDP) wäre wohl mit dem sozialdemokratischen Verhandlungsführer Gerhard Schröder ein Kompromiß möglich gewesen, nicht aber mit dem saarländischen Ministerpräsidenten Oskar Lafontaine und dem baden-württembergischen Umweltminister Harald Schäfer als weiteren Mitgliedern der Verhandlungsdelegation: Diese beiden SPD-Politiker bestanden auf einer Formulierung, wonach lediglich "die Frage des Erhalts der Fähigkeit zur Errichtung eines neuen Kernkraftwerks-Typs untersucht" würde. Dagegen möchte die Regierungskoalition explizit die Fähigkeit zum Bau neuer Kernkraftwerkstypen erhalten (SZ, 23.6.; siehe auch 950505, 950406 u. 950303).

Koalition wirft SPD Zerstrittenheit vor

In einer aktuellen Stunde des Bundestags am 23.6. warfen Umweltministerin Angela Merkel (CDU) und Wirtschaftsminister Rexrodt (FDP) den Sozialdemokraten vor, in der Frage der Kernenergie zerstritten zu sein. Schröder sei auch dieses Mal - wie schon bei den Energiekonsensgesprächen im Herbst 1993 - von den "Hardlinern" seiner Partei zurückgepfiffen worden, sagte Rexrodt. Die stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende Anke Fuchs bekräftigte dagegen, daß für ihre Partei der Ausstieg aus der Kernenergie nicht verhandelbar sei. Der SPD-Fraktionsvorsitzende Rudolf Scharping behauptete, daß mit den Ministerpräsidenten Stoiber und Biedenkopf sowie den Vorständen der Energieerzeuger sofort ein Konsens möglich sei (FAZ, 24.6.).
Die Vereinigung Deutscher Elektrizitätswerke (VDEW) bedauerte das Scheitern der Gespräche. Die Energieversorger bräuchten eine verläßliche Grundlage für ihre Investitionen über mehrere Legislaturperioden sowohl beim Bund als auch in den Ländern, sagte VDEW-Hauptgeschäftsführer Joachim Grawe (DPA, 22.6.).

"Schröder scheiterte nicht an der Koalition, sondern an seinen eigenen Parteifreunden"

Für die Süddeutsche Zeitung (23.6.) ist der SPD-Verhandlungsführer Schröder mit seinem Konzept "nicht an der Unbeweglichkeit der Koalitionsvertreter gescheitert, sondern an der mangelnden Bereitschaft der eigenen Freunde, sich dem Prozeß weiterer Gespräche über die Zukunft der Atomenergie auszusetzen". Schließlich sei es gar nicht mehr um die Sache gegangen, sondern nur noch darum, wie diese Sache "öffentlich darzustellen und politisch auszuschlachten wäre."

Nach Meinung des Handelsblatts (23.6.) werden nun wohl die "atomrechtswidrigen Praktiken einzelner Landesregierungen mit sozialdemokratischen Ministerpräsidenten" fortgesetzt. Das Fehlen eines parteiübergreifenden Konsenses verursache damit weitere Verteuerungen.

Auch nach Ansicht der Frankfurter Allgemeinen (23.6.) wird die Opposition nunmehr in ihren Bemühungen fortfahren, den Betrieb der Kernkraftwerke so weit wie möglich zu behindern. Es werde schwer fallen und längerfristig vielleicht gar unmöglich werden, durch Bundesanweisungen den Betrieb der Anlagen zu erzwingen. "Dennoch ist damit das Ende der Kernkraft noch nicht gekommen. Denn über den Bau zukünftiger Kraftwerke wird eine spätere Generation entscheiden, die vielleicht weniger emotional ausgerichtet sein wird. In der Welt bleibt die Kernkraft als umweltfreundlicher Energieträger auf dem Vormarsch. Deutschland wird sich dieser Entwicklung kaum entziehen können.