Mai 1994

940509

ENERGIE-CHRONIK


Auseinandersetzung um neuen Forschungsreaktor der TU München

Die Auseinandersetzung um den Bau eines neuen Forschungsreaktors in Garching, der das veraltete "Atom-Ei" der Technischen Universität München ersetzen soll, hat sich verschärft. Der Reaktor, der von Siemens errichtet werden soll, wäre der erste neue Reaktor in Deutschland nach der Katastrophe von Tschernobyl. Obwohl es sich lediglich um einen Forschungsreaktor handelt, befürchten Kernkraftgegner, daß damit die Kernenergie wieder "salonfähig" gemacht werden solle. Bürger und Kommunen haben mehr als 50 000 Einwendungen gegen das Projekt erhoben. Sie wurden bei einer einwöchigen Anhörung debattiert, die vom 3.bis 10.5. unter teilweise tumultartigen Umständen in München stattfand (taz, 3.5.; Handelsblatt, 4.5.; SZ, 3.5. u. 11.5.; siehe auch 931012).

Einen besonderen Streitpunkt bildet, daß der Reaktor mit hochangereichertem Uran betrieben werden soll. Dem Vernehmen nach sind die USA nicht zur Lieferung dieses Stoffes bereit, weil der seit 1992 geltende "Energy act" den Export hochangereicherten Urans grundsätzlich untersagt, um einen Mißbrauch für den Bau von Atombomben zu verhindern. In einem offenen Brief erklärten Hans-Peter Dürr und rund fünfzig weitere Physiker, daß die in Garching jährlich benötigte Brennstoffmenge von etwa 40 Kilogramm für mindestens zwei der Hiroshima-Bombe ähnliche Atomwaffen genügen würde. Der Reaktor sei damit "außen- und sicherheitspolitisch schädlich". Dagegen setzten sich regionale Gliederungen des Vereins Deutscher Ingenieure (VDI) und des Verbandes Deutscher Elektrotechniker (VDE) für den Bau des Reaktors ein. Die Kritik an der Verwendung hochangereicherten Urans gehe an der Realität vorbei, da der Brennstoff, eine Silizium-Verbindung, "nicht bombenfähig", sei. Die TU München betonte, daß es bislang keine offizielle Bestätigung für die Verweigerung hochangereicherten Urans durch die USA gebe. Sie räumte allerdings ein, daß bereits am 14.4. "inoffizielle" Gespräche mit Vertretern des russischen Atomministeriums über Ersatzlieferungen stattgefunden hätten (SZ, 3.5.; 11.5., 27.5. u. 30.5.).

Die Süddeutsche Zeitung (27.5.) meinte dazu: "Um den Neutronenfluß in Fahrt zu bringen (das ist das Anliegen der Garchinger) braucht es das Zeug nicht; dazu reicht auch hochverdichtetes, aber niedrig angereichertes Uran, mit dem Bombenbastler nichts anfangen können. Warum die Garchinger trotzdem auf dem Bombenstoff beharren, bleibt ihr Geheimnis."

Die Frankfurter Rundschau (26.5.) kommentierte ähnlich: "Man möchte doch gern wissen, warum die Forscher von der TU München und die Siemens-Anlagenbauer so eisern an der Nutzung von hochangereichertem Uranbrennstoff festhalten, während sonst alle Forschungswelt auf nicht zur Waffenproduktion taugende Brennstoffe umsteigt."