Dezember 2017

171209

ENERGIE-CHRONIK


OEW erheben Verfassungsbeschwerde gegen Nachhaftungsgesetz

Der Zweckverband Oberschwäbische Elektrizitätswerke (OEW) hat am 12. Dezember Verfassungsbeschwerde gegen das Nachhaftungsgesetz erhoben, das der Bundestag vor einem Jahr verabschiedete (161202) und das am 16. Juni 2017 in Kraft getreten ist. Aus seiner Sicht würde dieses Gesetz auch Nachhaftungsansprüche gegenüber den Kommunen der OEW und dem Land Baden-Württemberg ermöglichen, falls die Energie Baden-Württemberg (EnBW) zahlungsunfähig würde. Die beiden Eigentümer der öffentlichen Hand hätten dann zu befürchten, daß sie nicht nur ihr Aktienkapital verlieren, sondern anstelle der EnBW auch für die Abbau- und Entsorgungskosten im Kernenergiebereich aufkommen müßten. Das Gesetz verstoße damit gegen das Rechtsstaatsprinzip (Artikel 20 Absatz 3 Grundgesetz) sowie die kommunale Selbstverwaltungsgarantie (Artikel 28 Absatz 2 GG).

Landesregierung verzichtet auf Gang nach Karlsruhe

Die Landesregierung sieht ebenfalls Klärungsbedarf, will aber nicht selber klagen. "Wenn die OEW nun klagt, bringt das Rechtssicherheit", meinte Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne). Außerdem stehe man nicht so unter Zugzwang wie der Zweckverband, der seine Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht innerhalb eines Jahres nach Inkrafttreten des Gesetzes erheben muß, damit sie überhaupt angenommen wird. Die Landesregierung könne dagegen jederzeit wie die Bundesregierung oder ein Viertel der Bundestagsabgeordneten gemäß Artikel 93 des Grundgesetzes ein Normenkontrollverfahren beantragen.

Nachhaftung soll Insolvenzrisiko bei Beseitigung von Atomkraftwerken mindern

Das "Gesetz zur Neuordnung der Verantwortung in der kerntechnischen Entsorgung" (161202) hat die Zuständigkeit für die Zwischen- und Endlagerung des Atommülls dem Bund übertragen. Die Verantwortung für Stilllegung und Abbau von Atomkraftwerken sowie die Verpackung des dabei anfallenden Atommülls verbleibt dagegen bei den Betreibergesellschaften. Es besteht aber ein hohes Risiko, daß diese vor der Erledigung dieser Arbeiten zahlungsunfähig werden, zumal es für die Kapitaleigner sehr verlockend sein könnte, sich auf diese Weise vorsätzlich der noch verbliebenen Verpflichtungen zu entledigen. Das Gesetz ermöglicht es deshalb, die "beherrschenden Unternehmen" eines KKW-Betreibers zur Nachhaftung heranzuziehen, falls der Betreiber selber ihre Verpflichtungen nicht erfüllen.

OEW und Land "beherrschen" die EnBW mit jeweils 46,75 Prozent der Aktien

Der 1909 gegründete Zweckverband "Oberschwäbische Elektrizitätswerke" ist ein Zusammenschluß von neun oberschwäbischen Landkreisen, der über die OEW Energie-Beteiligungs GmbH 46,75 Prozent der EnBW-Aktien besitzt. Das Land Baden-Württemberg hält über die Neckarpri GmbH eine genauso große Beteiligung. Beide sind sicher beherrschende Unternehmen im Sinne des Gesetzes, zumal die Parität nicht von ungefähr kommt und die Hauptaktionäre in der Vergangenheit eng zusammengearbeitet haben – im Unterschied zu den elf Jahren, in denen der andere Hauptaktionär anstelle des Landes die französische EDF war (siehe Hintergrund, Dezember 2010). Nach § 2 des Nachhaftungsgesetzes beginnt der Tatbestand der Beherrschung nicht erst bei der Hälfte der Stimmrechte, sondern schon dann, wenn Großaktionäre "allein oder gemeinsam einen beherrschenden Einfluss auf einen Betreiber ausüben können". Außerdem liest sich § 1, Abs.1 gerade so, als ob er mit Blick auf die sorgsam gehütete Parität der beiden EnBW-Großaktionäre verfaßt worden wäre: "Mehrere herrschende Unternehmen eines Betreibers haften gemeinsam als Gesamtschuldner."

Öffentliche Hand würde sich selber massakrieren

Insoweit ist die Befürchtung der OEW nicht unbegründet: Je nach Lesart könnte aus dem Gesetz tatsächlich ein Nachhaftungsanspruch gegenüber dem Zweckverband abgeleitet werden und ersatzweise die oberschwäbischen Kommunen treffen. Eine Insolvenz des südwestdeutschen Energiekonzerns ist allerdings trotz seiner noch immer vorhandenen Probleme sehr unwahrscheinlich. Außerdem handelt es sich bei der Nachhaftung um eine Kann-Bestimmung. Ihre Anwendung bleibt dem Bund bzw. der "anspruchsberechtigten Behörde" überlassen. Private Kapitaleigner werden sie sicher zu fürchten haben, denn dafür wurde das Gesetz geschaffen. Es ist aber schwer vorstellbar, daß die öffentliche Hand sich selber massakriert.

OEW und Land achten seit zwei Jahren vorsorglich auf Distanz

Die OEW haben schon im Vorfeld der parlamentarischen Beratungen auf den Pferdefuß aufmerksam gemacht und um Beseitigung gebeten. Die schwarz-rote Bundesregierung hat den Wunsch aber nicht erfüllt. Anscheinend befürchtete sie, daß durch eine solche Klausel zugunsten der öffentlichen Hand das juristische Netz zum Einfangen der privaten Kapitaleigner noch grobmaschiger würde.

Die OEW haben daraufhin vorsichtshalber die seit vier Jahren bestehende Aktionärsvereinbarung mit der Beteiligungsgesellschaft des Landes gekündigt (151208). Auch sonst achteten sie demonstrativ auf Distanz, um das Argument zu entkräften, sie würden allein oder gemeinsam mit dem Land das Sagen bei der EnBW haben. Zum Beispiel kam es seit Ende 2015 vor den Sitzungen des EnBW-Aufsichtsrats nicht mehr zu gemeinsamen Besprechungen zwischen den beiden Hauptaktionären.

 

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