Januar 2017

170101

ENERGIE-CHRONIK


Gabriel tritt als Wirtschaftsminister zurück und verzichtet auf Kanzlerkandidatur

Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel hat am 24. Januar überraschend seinen Rücktritt bekanntgegeben. Zugleich verzichtete er auf das Amt des SPD-Vorsitzenden und die Kanzlerkandidatur für seine Partei, die als so gut wie sicher galt und nur noch der formellen Bestätigung bedurft hätte. Diese beiden Aufgaben übernimmt an seiner Stelle der bisherige EU-Parlamentspräsident Martin Schulz. Gabriel bleibt jedoch bis zum Ende der Legislaturperiode Mitglied des Kabinetts und ist seit 27. Januar neuer Außenminister. Er löst in dieser Funktion seinen Parteifreund Frank-Walter Steinmeier ab, der aufgrund einer Vereinbarung der schwarz-roten Koalition am 12. Februar zum Bundespräsidenten gewählt wird. Neue Bundeswirtschaftsministerin wurde die frühere Justizministerin Brigitte Zypries (SPD), die ebenfalls am 27. Januar ihre Ernennungsurkunde erhielt.

Zuständigkeit für Energiewende war als Erfolgsrezept gedacht, wurde es aber nicht


Am 27. Januar überließ Gabriel das Ministerium für Wirtschaft und Energie seiner Nachfolgerin Brigitte Zypries
Foto: BMWi/Maurice Weiss

Als Gabriel vor drei Jahren das Wirtschaftsministerium übernahm, geschah dies in der Erwartung, sich in diesem Amt als nächster Kanzlerkandidat der SPD profilieren zu können. Vor allem setzte er auf die erfolgreiche Verwirklichung der "Energiewende", zu der sich seit der Katastrophe von Fukushima auch die Koalitionspartner CDU und CSU bekennen. Die Förderung der erneuerbaren Energien wurde auf sein Betreiben aus dem Zuständigkeitsbereich des Bundesumweltministeriums herausgelöst und dem "Bundesministerium für Wirtschaft und Energie" übertragen, wie das Ressort seitdem heißt (131201). Die Leitlinien für eine Reform dieses Problembereichs waren in der Koalitionsvereinbarung vom November 2013 abgesteckt und insoweit unstrittig (131101, 131102). Außerdem war die Billigung der darauf basierenden Gesetzgebung durch den Bundestag aufgrund der erdrückenden Mehrheit der schwarz-roten Koalition mehr oder weniger Formsache.

Trotzdem hat sich Gabriels Erwartung nicht erfüllt. Das lag weniger an den Differenzen, die es trotz der grundsätzlich festgelegten Marschroute hinsichtlich der Energiepolitik auch innerhalb der Koalition noch gab. Vielmehr gelang es auch ihm und seinen Helfern nicht, den gordischen Knoten zu lösen, der sich aus der Verschlingung des liberalisierten Energiemarktes mit der Energiewende entwickelt hat und diese behindert. Falls sich die weitgehende Umstellung der Förderung von Erneuerbaren und Kraft-Wärme-Kopplung auf Ausschreibungen als Erfolg erweisen sollte, werden nicht er, sondern seine Nachfolger die Früchte ernten können. Vielleicht werden sie das neugeschaffene Instrumentarium aber auch dazu benutzen, um die Energiewende "abzuwürgen", wie dies Gabriel schon vorab unterstellt wurde.

Gesetzgebung wird immer unübersichtlicher

Trotz der Bedeutung seines Ministeriums stand Gabriel relativ wenig im Rampenlicht und dürfte vielen Wählern sogar unbekannt geblieben sein. Schon gar nicht war es dem breiten Publikum möglich, sich ein zutreffendes Urteil über seine Erfolge und Mißgriffe zu bilden. Die mit der Liberalisierung des Strommarktes und der "Energiewende" zusammenhängenden Probleme sind viel zu kompliziert. Die ausufernde Gesetzgebung, mit der man sie in den Griff zu bekommen versucht, scheint selbst der Gesetz- und Verordnungsgeber nicht mehr richtig zu überblicken. Und wenn man glaubte, es sei endlich alles unter Dach und Fach, wurde es wegen tatsächlicher oder vorgeschützter Einwände aus Brüssel wieder aufgedröselt. So geschah es im vergangenen Jahr beim KWKG und EEG. Die vom Bundestag verabschiedete Neufassung des EEG (160702) wurde sogar noch vor ihrem Inkrafttreten in zahlreichen Punkten nachgebessert. Diese Änderungen hat man dann mit der Neufassung des KWKG in einem von insgesamt 16 Artikeln hinterhergeschickt (161208). Das bereits zu monströsem Umfang angeschwollene EEG wurde dadurch nicht unbedingt besser, aber noch länger und unübersichtlicher. Kein Ruhmesblatt waren auch das sogenannte Strommarktgesetz mit seiner als "Sicherheitsbereitschaft" kaschierten Abwrackprämie für Braunkohlekraftwerke (151103, 160604), die nicht einmal halbherzige Reform der Netzentgelte (161110, 170105) oder die fortdauernde Unterminierung der verfassungsmäßig garantierten kommunalen Selbstverwaltung beim Konzessionsrecht (161205).

EEG-Umlage und Netzentgelte steigen weiter

Soweit Gabriel mediale Aufmerksamkeit erlangte, war sie häufig negativ. So konnte er nicht verhindern, daß ausgerechnet im Wahljahr 2017 die EEG-Umlage ein weiteres Mal gestiegen ist und eigentlich noch stärker hätte steigen müssen (161001). Auch bei den Netzentgelten braut sich eine düstere Kosten-Wolke zusammen (160901). Die Höhe der Stromrechnung versteht aber jeder. Ebenso die Botschaft, daß mehr als die Hälfte des Strompreises aus Steuern und Abgaben besteht. Die Union scheint bereits zu überlegen, ob sie daraus nicht Wahlkampf-Honig saugen und den Ausstieg aus der EEG-Förderung propagieren soll. Das wäre allerdings eine ähnliche Rolle rückwärts wie die Verlängerung der Laufzeiten für die Kernkraftwerke durch die schwarz-gelbe Koalition. Dringender und angemessener wäre es, die Stromverbraucher an anderer Stelle zu entlasten, wenn man ihnen schon die Kosten der Energiewende aufbürdet. Hinzu kommen die Kosten eines überdimensionierten Netzausbaues, der keineswegs nur dem Abtransport von Windstrom dient, sondern für einen möglichst unbeschränkten Stromhandel konzipiert ist. Kein Haushalt und kein Gewerbe kann auf Strom verzichten. Es war schon immer ein Unding, dieses lebensnotwendige Gut mit einer speziellen Steuer zu belegen und dann auf die Gesamtsumme der großteils staatlich verursachten Kosten auch noch den vollen Satz der Mehrwertsteuer draufzusatteln.

Zuletzt hatte der Bundesrechnungshof an Gabriels Amtsführung herumgemäkelt, indem er ihm vorwarf, daß sein Ministerium keinen Überblick über die finanziellen Auswirkungen der Energiewende habe (170102). Das gab aber sicher nicht den Anstoß für den Rücktritt als Wirtschaftsminister. Entscheidend war vielmehr die durch Umfrageergebnisse gestützte Einsicht, daß Gabriel die falsche Rolle auf der politischen Bühne gewählt hat, um sich publikumswirksam als Kanzlerkandidat seiner Partei zu profilieren. Die Fehlbesetzung war dabei weniger die Person als das Amt. In diesem Sinne dürfte auch die Begründung zu verstehen sein, mit der Gabriel seinem Parteifreund Martin Schulz den SPD-Vorsitz mitsamt der Kanzlerkandidatur überließ: "Er ist der bessere Kandidat mit den besseren Chancen." Die folgenden neun Monate werden zeigen, ob Schulz mehr Erfolg hat: Ende Januar akzeptierte Bundespräsident Joachim Gauck den Vorschlag der Bundesregierung, die Bundestagswahlen am 24. September stattfinden zu lassen.

 

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