Juli 2016

160701

ENERGIE-CHRONIK


 


Die "Konzernzentrale" von Care-Energy befindet sich in diesem Lagerhaus im ehemaligen Hamburger Freihafen. Bei genauerem Hinsehen schrumpft das imposante Firmengeflecht des Martin Richard Kristek zu einem Kleinbetrieb. Zum Umfeld gehören jedoch Tausende von Werbern, die den Kundenfang auf Provisionsbasis betreiben.

Zigtausende von Care-Energy-Kunden fallen in die Ersatzversorgung

Die Lage des dubiosen Energieanbieters Care-Energy hat sich weiter zugespitzt. Nachdem der ostdeutsche Übertragungsnetzbetreiber 50Hertz dem Unternehmen schon am 28. Juni den Netzzugang gesperrt hat, kündigte am 15. Juli auch der größte deutsche Übertragungsnetzbetreiber TenneT den Bilanzkreisvertrag mit der Care Energy AG. Anlaß waren wiederum Zahlungsrückstände: Das Unternehmen war nicht bereit oder in der Lage, TenneT die ausstehende EEG-Abschlagszahlungen für die Monate April und Mai 2016 innerhalb der gesetzten Frist bis 14. Juli zu überweisen.

Care-Energy hat dadurch den größten Teil seiner bisherigen Stromkunden verloren, denn die Verteilnetzbetreiber innerhalb der Regelgebiete von 50Hertz und TenneT sperrten nun ihrerseits den Netzzugang, wodurch die betroffenen Stromverbraucher automatisch in die Ersatzversorgung des jeweiligen Grundversorgers fielen. Insgesamt dürfte eine sechsstellige Zahl an Kunden betroffen sein. Lediglich in den Regelzonen von Amprion und TransnetBW behielt Care-Energy den Netzzugang. Da der Stromanbieter hier über weniger Kunden verfügt, sind auch die anfallenden EEG-Umlagen geringer und wurden nach Auskunft der beiden Übertragungsnetzbetreiber bisher bezahlt.

Firmenchef Kristek gibt sich als verfolgte Unschuld und bezichtigt die Netzbetreiber der Falschabrechnung

Wie schon bei 50Hertz wartete Care-Energy-Chef Kristek die vorhersehbare Kündigung durch TenneT gar nicht erst ab, sondern kündigte kurz vor Ablauf der Frist seinerseits den Bilanzkreisvertrag. An der realen Situation änderte das nichts. Anscheinend verfolgte Kristek damit einen propagandistischen Zweck: Er will wohl in den Augen seiner mittlerweile stark geschwundenen Gefolgschaft nicht als Getriebener dastehen, dem sämtliche Felle davonschwimmen, sondern als verfolgte Unschuld, die sich zu wehren weiß. Nach der Kündigung durch 50Hertz empörte er sich auf einer von ihm arrangierten Pressekonferenz darüber, "daß in Deutschland ein Start-up-Unternehmen so beschissen behandelt wird". Dauernd werde ihm "ein Prügel nach dem anderen vor die Füße geworfen". NIcht er schulde den Netzbetreibern Geld, sondern diese würden falsch abrechnen, und er sei nicht bereit, einen derartigen "Scheiß" mitzumachen.

Bundesnetzagentur setzt eingeleitete Aufsichtsverfahren fort

Die Bundesnetzagentur hat dem Fragenkatalog, den sie am 28. Juni der Care-Energy AG zustellte, noch einen zweiten hinterhergeschickt. Er ist vom 29. Juni datiert und betrifft die "Expertos Unternehmens- und Wirtschaftsberatungs GmbH & Co. KG". Diese Firma ist die Nachfolgerin der "Care-Energy Energiedienstleistungs GmbH & Co. KG" und damit die unmittelbare Schuldnerin der 85,6 Millionen Euro, die Care-Energy aufgrund eines Urteils des Landgerichts Hamburg den vier Übertragungsnetzbetreibern erstatten muß. Firmenchef Kristek hat sein juristisches Verwirrspiel inzwischen fortgesetzt, indem er diese umfrisierte Firma, die faktisch nur im Handelsregister existiert, von Hamburg nach einem kleinen Ort in Sachsen umziehen ließ und anstelle seiner Person einen 21-jährigen Gefolgsmann zum Geschäftsführer bestellte. Der einzige Zweck dieses Manövers scheint der Zeitgewinn zu sein, der durch den Umzug und die damit verbundenen juristischen Prozeduren entsteht.

Auf Anfrage teilte die Bundesnetzagentur mit, daß beide Care-Energy-Firmen fristgerecht innerhalb der gesetzten Fristen bis zum 13. bzw. 14 Juli auf das Auskunftsverlangen geantwortet hätten. Derzeit prüfe die zuständige 6. Beschlußkammer die eingereichten Unterlagen.

Durch die Netzsperren verliert Care-Energy rund drei Viertel der Stromkunden


Seit Ende 2015 kooperierte der Axel-Springer-Verlag mit dem dubiosen Energieanbieter. Inzwischen ist das Werbegeschrei von BILD-Energie für die Strom- und Gasangebote von Care-Energy im Netz nicht mehr auffindbar. Stattdessen warnt BILD vor der "Abzocke" durch ein Unternehmen, das bis vor kurzem noch Kooperationspartner war...

Die ausstehenden Forderungen, deretwegen 50Hertz und TenneT die Bilanzkreisverträge gekündigt haben, betreffen nur aktuelle Zahlungsrückstände. Seit etwa einem Jahr führte der Stromanbieter die EEG-Umlage nun doch ab, nachdem er jahrelang versucht hat, sich dieser Verpflichtung zu entziehen. Davon zu unterscheiden sind die rund hundert Millionen Euro an EEG-Umlage, die er bis 2015 schuldig geblieben ist (150210) und von denen er aufgrund eines vorläufig vollstreckbaren Urteils des Landgerichts Hamburg zumindest die bisher eingeklagte Teilsumme von 85,6 Millionen Euro nebst Zinsen den vier Übertragungsnetzbetreibern zu erstatten hat (160309).

Schlüsselt man diese Summe nach den Teilforderungen der vier Übertragungsnetzbetreiber auf, so ergibt sich daraus, daß der Großteil der Care-Energy-Kunden in der ostdeutschen Regelzone von 50Hertz zuhause ist: Die 50Hertz geschuldeten 41,4 Millionen Euro machen 48,4 Prozent aus, die 21,5 Millionen Euro von Tennet 25,1 Prozent, die 19,8 Millionen Euro von Amprion 23,1 Prozent und die 3,5 Millionen Euro von TransnetBW 4,1 Prozent. Durch die jetzt erfolgten Bilanzkreiskündigungen von 50Hertz und TenneT wären dem Stromanbieter somit rund drei Viertel seiner Kunden abhanden gekommen, wobei der absolute Schwerpunkt auf den ostdeutschen Bundesländern liegt.

Der auf TransnetBW entfallende Anteil ist dagegen mit 4,1 Prozent ungewöhnlich gering. Immerhin ist dieser Übertragungsnetzbetreiber für ganz Baden-Württemberg zuständig. Die als besonders sparsam bekannten Schwaben scheinen dem Billiganbieter Care-Energy die kalte Schulter gezeigt zu haben, weil bei ihnen auch das Gespür für Solidität besonders ausgeprägt ist...

TransnetBW war als einziger der vier Übertragungsnetzbetreiber schon in der ersten Prozeßrunde erfolgreich

Allerdings kommen zu den 3,5 Millionen Euro, die TransnetBW jetzt von Care-Energy verlangen darf, noch knapp eine Million Euro hinzu: Es handelt sich dabei um die EEG-Nachforderungen für den Zeitraum von Juni 2011 bis Oktober 2013, die TransnetBW bereits in einer ersten Runde vor dem Hamburger Landgericht eingeklagt und erhalten hat. Im Unterschied zu den drei anderen Übertragungsnetzbetreibern, denen das Landgericht damals die Nachzahlung von mehr als sieben Millionen Euro zuerkannte (131105), durfte TransnetBW diese Summe auch behalten und mußte sie deshalb in der zweiten Runde nicht erneut geltend machen.

Die TransnetBW hatte sich nämlich aus dem verwirrenden Firmengeflecht des Martin Richard Kristek von Anfang an die richtige Adresse für ihre Forderungen ausgesucht: Das war damals die "mk-power Ihr Energiedienstleister GmbH & Co. KG", die Kristek später noch zweimal umbenannt hat, bevor er die Kunden einer neuen Gesellschaft übertrug, bei der sich dann ebenfalls der Name und anderes verändert hat. Die formaljuristische Begründung, mit der das Oberlandesgericht Hamburg die zugunsten von 50Hertz, TenneT und Amprion ergangenen Urteile wieder aufhob (140909), berührte deshalb die Ansprüche des südwestdeutschen Regelzonenbetreibers nicht.

Insgesamt addierten sich in der ersten Prozeßrunde vor dem Landgericht Hamburg die EEG-Nachzahlungen, die Kristek zumindest vorübergehend zu leisten hatte, auf mehr als acht Millionen Euro. Das war vergleichsweise wenig gegenüber den 85,6 Millionen Euro plus Zinsen, deren Eintreibung den vier Übertragungsnetzbetreibern jetzt in der zweiten Runde gerichtlich zugestanden wurde, aber doch eine enorme Belastung. Es bleibt bis heute ein Rätsel und wäre der Nachforschung durch die Bundesnetzagentur wert, woher Kristek damals dieses Geld genommen bzw. bekommen hat, bevor er es dann aufgrund des Urteils der Berufungsinstanz größtenteils wieder zurückerhielt.

Angeblich 430.000 Kunden in Deutschland und Österreich

Ende 2014 sprach Care-Energy auf Nachfrage einer Zeitung von insgesamt rund 360.000 Strom- und Gaskunden sowie 7.000 Mitarbeitern. Glaubt man dem hauseigenen Jubelartikel "Martin Richard Kristek – ein Unternehmer auf den Deutschland stolz sein kann", der im Februar 2015 erschien, hatte Kristek damals "rund 410.000 Klienten in Deutschland und 20.000 in Österreich". Weiter hieß es: "Seine Unternehmensgruppe mit Sitz in Hamburg beschäftigt mehr als hundert angestellte Mitarbeiter und unzählige Handelsvertreter, schreibt einen Jahresumsatz von über 600 Mio Euro."

Diese Zahlen können sicher nicht unbesehen übernommen werden. Zum Beispiel schrumpfen die genannten "7.000 Mitarbeiter" schnell um den Faktor Hundert auf die Belegschaft eines Kleinbetriebs, sobald man die auf Provisionsbasis arbeitenden Werber beiseite läßt, und auch deren Anzahl dürfte übertrieben sein. Die Anzahl der Stromkunden könnte aber schon im unteren sechsstelligen Bereich liegen bzw. gelegen haben. Offiziell wurde sie Anfang 2013 mit 250.000 und später mit 300.000 beziffert. Der sich abzeichnende Zusammenbruch von Care-Energy hat damit eine nicht wesentlich geringere Dimension wie das skandalöse Ende der Stromanbieter Flexstrom (130401) und Teldafax (110613).

Jubelartikel über Bezahldienste

Nach außen gebärdete sich der Care-Energy-Chef Kristek gern als als großzügiger Sponsor, Strompreis-Rebell und Wohltäter der Menschheit. Sobald ihm aber einer in die Quere kam und die Abstrusität seines Geschäftsmodells zu enthüllen drohte, scheute er keine Mühe und keine Kosten, um den Kritiker mundtot zu machen (siehe Hintergrund).

Das erklärt auch, weshalb die Google-Suche unter dem Stichwort Care-Energy bis vor kurzem hauptsächlich nur PR-Schrott zutage förderte: Meistens handelte es sich um die Eigenwerbung, die Kristek über den "Original-Text-Service" (ots) der Deutschen Presse-Agentur und ähnliche Bezahldienste verbreiten ließ. Diese Jubelartikel waren in einem erbärmlichen Deutsch verfaßt, das der Grammatik wie der Rechtschreibung Gewalt antat. Vor allem fehlte jenes Mindestmaß an tatsächlichem Informationsgehalt und Plausibilität, das Unternehmens-Pressemitteilungen schon haben sollten, um für halbwegs seriöse Medien verwertbar zu sein.

Vermutlich zielten diese Verlautbarungen aber gar nicht auf Presse und breite Öffentlichkeit: Der unappetitliche Wortsalat sollte wohl in erster Linie der eigenen Anhängerschaft munden. – Denn es war sicher nicht einfach, das Söldnerheer bei der Stange zu halten, das für Kristek auf Provisionsbasis den Kundenfang betrieb. Was die Provisionen nicht hergaben, mußte durch Indoktrinierung, eine Kaskade von Erfolgsmeldungen und sektenähnlichen Gefolgschaftsgeist ersetzt werden.

Rückenwind durch BILD

Die Unseriösität des Energieanbieters hinderte etliche Medien und Institutionen nicht daran, mit ihm zu kooperieren. Zum Beispiel kam es Ende vorigen Jahres zu einer Gemeinschaftsaktion mit dem Axel-Springer-Verlag, der fortan sein Produkt BILD kräftig die Werbetrommel für das Care-Energy-Angebot rühren ließ (siehe Grafik). Wer heute unter "BILD-Energie" danach sucht, erfährt freilich, daß die Aktion bereits beendet sei. BILD selber tut so, als habe es nie eine Kooperation gegeben: "Seit Monaten hagelt es Negativ-Schlagzeilen: schwer durchschaubare Firmenverflechtungen, Insolvenz-Gerüchte, geplagte Stromkunden" schrieb das Blatt am am 14. Juli. Kristek befinde sich "in Erklärungsnot" und stehe "mal wieder mit dem Rücken zur Wand".

 


Neben dem Kundenfang per Direktkontakt und Internet betreibt Care-Energy rund ein Dutzend Läden, die unter anderem Gratis-Strom für überteuerte Einkäufe anbieten (150116). Das Foto zeigt einen dieser Stützpunkte im Berliner Stadtteil Moabit.

 

Links (intern)

Links (extern, ohne Gewähr)