Mai 2012

120501

ENERGIE-CHRONIK


 

Die Kanzlerin Angela Merkel (links) begründete die Entlassung Röttgens als Bundesumweltminister mit der Notwendigkeit eines "personellen Neuanfangs" zur Verwirklichung der sogenannten Energiewende. Sechs Tage nach ihrer überraschenden Entscheidung bekam der neue Bundesumweltminister Peter Altmaier (rechts) von Bundespräsident Joachim Gauck am 22. Mai seine Ernennungsurkunde ausgehändigt. Von Umwelt- und Energiefragen versteht Altmaier freilich eher weniger als sein Vorgänger.
Pressefotos (2): BMU

Merkel entläßt Röttgen und macht Altmaier zum neuen Umweltminister

Bundeskanzlerin Angela Merkel entließ am 16. Mai den Umweltminister Norbert Röttgen, der dieses Amt seit Oktober 2009 innehatte (091009). Als Nachfolger benannte sie den bisherigen Parlamentarischen Geschäftsführer der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Peter Altmaier. Die Kanzlerin reagierte damit auf die vorgezogenen Landtagswahlen am 13. Mai in Nordrhein-Westfalen, bei denen der Stimmenanteil der CDU, die mit Röttgen als Spitzenkandidat in den Wahlkampf gezogen war, von 34,6 auf 26,3 Prozent geschrumpft war. Die vor zwei Jahren angetretene rot-grüne Minderheitsregierung (100509) kann sich dagegen nun auf eine stabile Mehrheit im Landtag stützen.

Vor allem die SPD konnte mit 39,1 gegenüber 34,5 Prozent der Stimmen deutlich zulegen, während die Grünen einen leichten Rückgang von 12,1 auf 11,3 Prozent hinnehmen mußten. Die starken Verluste der CDU kamen zum großen Teil der FDP zugute, die mit 8,6 Prozent sogar die 6,7 Prozent vor zwei Jahren übertraf. Nach dem grün-roten Machtwechsel in Baden-Württemberg (110306) schwimmen der CDU damit auch im größten Bundesland auf absehbare Zeit die Felle davon. Die Wähler haben die von Röttgen repräsentierte Öffnung der CDU zu den Grünen hin offensichtlich nicht honoriert, sondern das rot-grüne Bündnis gestärkt. Zugleich wandten sich viele konservative Wähler der FDP zu. Vor diesem Hintergrund sind die innerparteilichen Auseinandersetzungen in der Union zu sehen, die schließlich zur Entlassung Röttgens als Bundesumweltminister führten.

Röttgen hatte noch am Wahltag sein Amt als nordrhein-westfälischer CDU-Vorsitzender niedergelegt. Von einem Rücktritt als Bundesumweltminister war zunächst jedoch keine Rede. Auch die Kanzlerin schien ihn im Amt behalten zu wollen. "Norbert Röttgen ist Umweltminister und hat als solcher wichtige Aufgaben zu erfüllen; daran hat sich nach der Wahl nichts geändert", ließ sie noch am 14. Mai über den Regierungssprecher mitteilen.

Gute Miene zum bösen parteipolitischen Spiel: Der geschaßte Wahlverlierer Röttgen gratuliert seinem Nachfolger zur Ernennung.

Den Anstoß für die Entlassung gab offenbar erst eine ungewöhnlich scharfe, gezielte Attacke des CSU-Vorsitzenden Horst Seehofer, die am späten Abend des 14. Mai im "Heute Journal" des ZDF-Fernsehens gesendet wurde. Seehofer warf Röttgen erneut vor, er habe sich von vornherein den Posten des Bundesumweltministers als Rückzugsmöglichkeit offengehalten, anstatt die Rolle des Oppositionsführers in Düsseldorf zu übernehmen, wenn es dort zum Regierungswechsel nicht reicht. Das sei "ein ganz großer Fehler" gewesen. Anfangs habe die CDU in Nordrhein-Westfalen bei Umfragen stimmenmäßig vor der SPD gelegen, "und innerhalb von sechs Wochen ist das weggeschmolzen wie ein Eisbecher, der in der Sonne steht".

Röttgen wollte nicht "freiwillig" zurücktreten

Am Abend des 15. Mai bestellte die Kanzlerin Röttgen zu einem Gespräch ein, bei dem sie ihm nahelegte, von sich aus den Rücktritt als Umweltminister zu erklären. Sein Amtsverzicht wäre dann mit größtem Bedauern und uneingeschränktem Lob für die geleistete Arbeit akzeptiert worden. Röttgen weigerte sich jedoch, auf dieses übliche Verfahren einzugehen. Anscheinend nahm er an, daß es die Kanzlerin nicht auf den offenen Konflikt ankommen lassen würde. Schließlich war er einer der bekanntesten Minister im Kabinett Merkel. Er galt zeitweilig sogar als besonderer Günstling der Kanzlerin ("Muttis Klügster"), dem noch ein weiterer Aufstieg in Partei- und Regierungsämtern zugetraut wurde. Hinzu gab es formal keinen Zusammenhang zwischen Röttgens Tätigkeit als Bundesumweltminister und seiner Niederlage als Spitzenkandidat der CDU in Nordrhein-Westfalen.

Die Kanzlerin dürfte dagegen Röttgens Weigerung als weitere Zumutung empfunden haben, nachdem er im Landtagswahlkampf den Fauxpas begangen hatte, das Ergebnis der Wahlen auch als Abstimmung über die Europa-Politik der Bundesregierung zu bezeichnen. Da die Umfragewerte der CDU bereits stark gesunken waren, wurde das von innerparteilichen Gegnern als Versuch gedeutet, die Kanzlerin für die sich abzeichnende Wahlniederlage mitverantwortlich zu machen.

Kanzlerin hält "personellen Neuanfang" für notwendig, um die "Energiewende" zu meistern

Möglicherweise sah Merkel aber auch die Chance, dem Bundesumweltminister die Verantwortung für ihre bisher mißglückte "Energiewende"-Politik zuzuschieben. Wie ignorant hier die schwarz-gelbe Koalition vorgegangen war, hatte eben erst wieder ein Bericht der Bundesnetzagentur über die Engpässe bei der Stromversorgung im vergangenen Winter deutlich gemacht (120503). Außerdem war es der Koalition nicht gelungen, mehrere umstrittene Energie-Gesetz gegen Widerstände aus den eigenen Reihen über die parlamentarischen Hürden zu bringen: Als erstes stoppte der Bundesrat im Juli 2011 die steuerliche Abzugsfähigkeit der Wärmedämmung bei Altbauten (110704). Im September 2011 scheiterte ebenfalls mit den Stimmen CDU-regierter Länder das CCS-Gesetz (110910). Beide Gesetze befinden sich noch immer im Vermittlungsausschuß (111019). Kurz vor Röttgens Entlassung lehnte die Ländervertretung außerdem die Abstriche an der Solarstromförderung ab, die der Bundestag im März beschloß (120504). Das geplante Endlager-Suchgesetz (111106) liegt bisher nicht einmal im Entwurf vor.

Zwischen dem massiven Druck der CSU und Röttgens Weigerung, möglichst geräuschlos zurückzutreten, entschied sich die Kanzlerin für den Eklat: Am Nachmittag des 16. Mai gab sie überraschend die Entlassung des Umweltministers bekannt. In einer kurzen, formelhaften Erklärung vermengte sie Worte des Dankes mit der Andeutung, daß sie Röttgen nicht mehr für geeignet halte, die "Energiewende" zu meistern:

"Die Energiewende ist ein zentrales Vorhaben dieser Legislaturperiode. Es sind die Grundlagen dafür gelegt worden, aber wir haben noch ein Stück Arbeit vor uns. Norbert Röttgen hat als Umweltminister an der Schaffung der Grundlagen für diese Energiewende entscheidend mitgewirkt. Für diese Arbeit danke ich ihm. Ich danke ihm genauso für sein großes klimapolitisches Engagement, gerade auch im internationalen Bereich. Es ist offensichtlich, daß die Umsetzung der Energiewende noch große Anstrengungen erfordert. Deshalb hat das Bundesumweltministerium in diesem Zusammenhang eine wichtige Rolle zu spielen. Als personellen Neuanfang für diese Aufgabe schlage ich den Ersten Parlamentarischen Geschäftsführer der CDU/CSU-Bundestagsfraktion Peter Altmaier vor."

Der Nachfolger Peter Altmaier (53) gilt als enger Vertrauter der Kanzlerin. Als Umweltpolitiker ist er aber bisher nicht hervorgetreten. Er dürfte in dieser Hinsicht sogar über deutlich weniger Kenntnisse als sein geschaßter Vorgänger verfügen. Auch deshalb stieß die Entlassung innerhalb der CDU auf offene Kritik. Rückenstärkung bekam Röttgen vor allem vom Landesverband Nordrhein-Westfalen, der noch am ehesten Grund hätte, ihm die Niederlage bei den Landtagswahlen nachzutragen.

SPD findet es "unfair und unanständig", wie Unionspolitiker mit Röttgen umgehen

Auf Antrag der Grünen debattierte der Bundestag am 24. Mai in einer "Aktuellen Stunde" zum Thema "Entlassung des Bundesumweltministers und Handlungsfähigkeit der Bundesregierung". Für die SPD meinte dabei der Abgeordnete Ulrich Kelber: "Die Kanzlerin hält einen Minister wie Guttenberg, der betrügt und lügt, für ministrabel, aber wenn ein Minister wie Norbert Röttgen eine Wahl in einem Bundesland verliert, dann verliert er seine Eignung als Minister und wird entlassen." Da stelle sich die Frage nach der Glaubwürdigkeit der Kanzlerin. Bei aller berechtigten Kritik an Röttgens Politik sei es unfair und unanständig, wenn einige CDU-Politiker nun versuchen würden, dem entlassenen Umweltminister "die alleinige Schuld am Chaos in der Energiepolitik der schwarz-gelben Koalition zu geben".

Röttgen hielt bereits Distanz zur Kernenergie, als die Union noch die Verlängerung der Laufzeiten betrieb

Als Röttgen im Oktober 2009 im schwarz-gelben Kabinett das Umweltministerium erhielt, beschränkte sich das, was die Regierung heute als "Energiewende" bezeichnet, auf die beiden Programmpunkte Klimaschutz und Ausbau der erneuerbaren Energien (091003). Im übrigen setzte die Koalition auf eine Verlängerung der Laufzeiten für Kernkraftwerke, auf die als "Brückentechnologie" nicht verzichtet werden könne (100302). Röttgen legte indessen immer Wert darauf, nicht als Anhänger der Kernenergie zu gelten (091113). Er vertrat damit eine politische Richtung innerhalb der Union, die langfristig auf Bündnisse mit den Grünen orientiert. Als er ein Mitspracherecht des Bundesrates bei der Verlängerung der Laufzeiten verlangte, trug ihm das eine Rücktrittsforderung seitens des damaligen baden-württembergischen CDU-Ministerpräsidenten Mappus ein (100509).

Nachdem die neue Atom-Gesetzgebung auch den Bundesrat ohne Einspruch passiert hatte (101105) und Ende 2010 in Kraft getreten war (101214), schien Röttgens Stern im Sinken begriffen. Er erlebte aber einen triumphalen Wiederaufstieg nach der Katastrophe von Fukushima, die seine Skepsis gegenüber der Kernenergie bestätigte. Er repräsentierte die damals eingeleitete "Energiewende" glaubwürdiger als Angela Merkel, die ihr radikales Umschwenken in der Atompolitik aus eher taktischen Motiven vollzogen haben dürfte (110303).

Röttgens Entlassung hat deshalb zu Spekulationen über einen abermaligen Kurswechsel der Kanzlerin geführt. Genährt wurden sie vor allem durch den stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden der Unionsparteien, Michael Fuchs, der gegenüber der "Welt am Sonntag" (27.5.) von der Möglichkeit sprach, "daß das eine oder andere Akw doch länger laufen muß als geplant". Merkel bekräftigte demgegenüber am 29. Mai bei einem Besuch in der Bundesnetzagentur: "Die Energiewende, so wie wir sie vor einem Jahr beschlossen haben, ist machbar."

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