Dezember 2010

101203

ENERGIE-CHRONIK


 


Ihr größtes Steinkohlekraftwerk betreibt die Steag in Voerde am Niederrhein: Die vier Kraftwerksblöcke (West I und II, Voerde A und B) haben zusammen eine installierte Leistung von 2157 Megawatt und verwandeln jährlich rund vier Millionen Tonnen Steinkohle in rund 11,5 Milliarden Kilowattstunden Strom.
Foto: Daniel Ullrich

Sechs Stadtwerke kaufen den Steinkohle-Verstromer Steag

Der fünftgrößte Stromerzeuger Deutschlands gehört jetzt sechs Stadtwerken aus dem Ruhrgebiet. Kurz vor Weihnachten unterzeichneten die Stadtwerke Dortmund, Essen, Bochum, Oberhausen, Duisburg und Dinslaken den Kaufvertrag über 51 Prozent des Steinkohle-Verstromers Steag, der bisher eine Evonik-Tochter war. Evonik erhält für das Aktienpaket 649 Millionen Euro. Die restlichen 49 Prozent müssen die Stadtwerke spätestens nach fünf Jahren für 594 Millionen Euro übernehmen. Der Kaufpreis beträgt somit insgesamt 1,2 Milliarden Euro.

Die Steinkohlen-Elektrizität AG (Steag) entstand 1937 als Verstromungsunternehmen des Ruhrbergbaues, das industrielle Großabnehmer belieferte und den übrigen Strom ins Netz des RWE einspeiste. Im sogenannten Steag-Vertrag von 1950 verzichtete das RWE auf die Errichtung eigener Steinkohlekraftwerke, während sich der Ruhrbergbau verpflichtete, kein eigenes Hochspannungsnetz aufzubauen. Die Steag verfügte deshalb über mehr Steinkohlekraftwerke als das RWE, in dessen Netz sie einspeiste. Als Tochter der 1969 gegründeten Ruhrkohle AG (seit 1997 RAG) war sie ein gewinnträchtiges Unternehmen, mußte aber mit ihren Erlösen den defizitären Steinkohlebergbau stützen. Bei der Aufspaltung der RAG wurde sie mit anderen profitablen Bereichen dem neuen Evonik-Konzern eingegliedert (070907). Dieser verhandelte schon seit längerem über den Verkauf an einen Juniorpartner mit einer Beteiligung bis 49 Prozent (100710). Von einem Komplettverkauf, wie er jetzt vereinbart wurde, war ursprünglich jedoch nicht die Rede.

Die Steag beschränkt sich heute nicht mehr auf Deutschland und auch nicht mehr auf die Steinkohle-Verstromung. In Deutschland betreibt sie an acht Standorten Steinkohlekraftwerke, zwei Raffineriekraftwerke und etliche Anlagen zur Energieerzeugung aus erneuerbaren Energien. Hinzu kommen im Ausland die Steinkohle-Kraftwerke Iskenderun (Türkei), Mindanao (Philippinen) und Termopaipa (Kolumbien). Die installierte Leistung beträgt weltweit etwa 9.400 Megawatt (MW), davon rund 7.700 MW in Deutschland. Insgesamt beschäftigt sie rund 4800 Mitarbeiter.

Bisherige Stromlieferverträge sind auch für die neuen Eigentümer bindend

Den erzeugten Strom liefert die Steag über langfristige Verträge an RWE und andere Großkunden. Die neuen Eigentümer müssen deshalb das Auslaufen dieser Verträge abwarten, ehe sie über die Steag-Kapazitäten neu disponieren können. Umgekehrt haben RWE und die anderen Großkunden genügend Zeit, sich auf das Auslaufen ihrer Verträge mit der Steag vorzubereiten und eigene Kapazitäten aufzubauen. Der RWE-Konzern braucht eine eventuelle Konkurrenz durch die sechs Stadtwerke auch deshalb nicht zu fürchten, weil er selber an deren Geschäft beteiligt ist: Ihm gehören 50 Prozent der Energieversorgung Oberhausen, 47 Prozent der Dortmunder Energie- und Wasserversorgung, 20 Prozent der Duisburger und 29 Prozent der Essener Stadtwerke.

Die sechs Stadtwerke finanzieren den Kauf größtenteils über Kredite, wobei sie darauf hoffen können, daß die Kapitalrendite der Steag mit rund neun Prozent höher liegt als die Zinsen, die sie für die Kredite aufbringen müssen. Im Jahr 2009 erwirtschaftete das Unternehmen einen Gewinn von 418 Millionen Euro vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen. Wahrscheinlich werden die Stadtwerke noch einen oder mehrere Partner ins Boot holen, um ihre Kreditaufnahme zu verringern. Im Gespräch ist etwa die tschechische Energieholding EPH, die ebenfalls für die Steag geboten hatte.

Steag galt seit Jahren als Verkaufskandidat und Manövriermasse zwischen RWE und E.ON

Schon vor der Eingliederung in den neuen Evonik-Konzern galt die Steag immer wieder als Verkaufskandidat und Manövriermasse zwischen den beiden führenden deutschen Energiekonzernen RWE und E.ON, denen das Unternehmen indirekt über die RAG und teilweise auch direkt gehörte. Beispielsweise schien die Selbständgkeit des Steinkohle-Verstromers nicht mehr gesichert zu sein, als die RAG-Aktionäre Veba und Viag zu E.ON fusionierten und RWE fast gleichzeitig die VEW schluckte (000514). Als E.ON sich dann Ruhrgas einverleibte, gab es Spekulationen, daß RWE für die Ermöglichung dieser Übernahme mit der Überlassung der Steag entschädigt würde (010701). Die einzige Änderung bestand aber vorläufig darin, daß RWE und E.ON auch ihre direkt gehaltenen Steag-Anteile der RAG überließen, wodurch sich die Steag leichter als Tausch- oder Verkaufsobjekt eignete (011207). Anschließend setzte der neue RAG-Chef Werner Müller die Steag tatsächlich auf die Verkaufsliste (030403). Wenig später revidierte er aber diese Entscheidung. Nun wollte er die Steag sogar zur neuen Energie-Säule des RAG-Konzerns zu machen (040504). Bei dieser Gelegenheit kündigte Müller auch den Wiedereinstieg von RWE an, der bereits erwartet wurde (040310). Zu der geplanten RWE-Beteiligung in Höhe von 25 bis 35 Prozent kam es indessen nicht. Vermutlich hatte das Bundeskartellamt signalisiert, daß es eine Einverleibung der Steag durch RWE auch schrittweise nicht genehmigen würde. Stattdessen vereinbarte die Steag eine langfristige Kooperation mit der Energie Baden-Württemberg (060112), während RWE ersatzweise die Steag-Tochter Saar Ferngas erhalten sollte (060505). Aber auch hier funkte das Bundeskartellamt dazwischen, obwohl es angeblich in die Verhandlungen einbezogen worden war (070304). RAG-Chef Müller verkaufte deshalb die Saar Ferngas unter heftigem Protest des Großaktionärs RWE an den Stahlkonzern Arcelor (070607), der sie dann in den neuen Luxemburger Energiekonzern Enovos einbrachte (090108).

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