September 2003

030901

ENERGIE-CHRONIK


Stundenlanger Stromausfall in ganz Italien

Nur drei Monate nach dem großen Stromausfall vom 26. Juni (030714) gingen am 28. September in ganz Italien erneut die Lichter aus. Es handelte sich um den größten Netzkollaps seit Jahrzehnten, der 57 Millionen Menschen die Stromversorgung nahm. Damit übertraf er sogar das Ausmaß des jüngsten "Blackouts" in Nordamerika (030802). Bemerkenswert ist auch, daß der Zusammenbruch nicht durch einen ungewöhnlich hohen Stromverbrauch bewirkt wurde, sondern am frühen Morgen erfolgte, als der Stromverbrauch am geringsten war.
Das italienische 380-kV-Netz mit Kraftwerken und Umspannwerken (Karte zum Vergrößern anklicken)

Auf dieser Spannungsebene verfügt Italien über je zwei Verbindungen nach Frankreich und der Schweiz sowie eine nach Slowenien. Der Bau je einer weiteren 380-kV-Verbindung mit diesen Ländern ist geplant. Außerdem gibt es 220-kV-Leitungen nach Frankreich, der Schweiz, Österreich und Slowenien. Der jetzige Stromausfall begann auf der 380-kV-Ebene in der Schweiz. 

Ursache war wieder die Importabhängigkeit des Landes, das seinen Strombedarf nicht aus eigener Erzeugung decken kann, sondern einen großen Teil seiner elektrischen Energie über die Schweiz und Frankreich bezieht. Während im Juni das Ausbleiben französischer Stromlieferungen die flächendeckenden Abschaltungen verursacht hatte, war es dieses Mal ein Defekt an einer Hochspannungsleitung in der Schweiz, der sich binnen einer halben Stunde so ausweitete, daß in ganz Italien (mit Ausnahme der Insel Sardinien) die Stromversorgung zusammenbrach. Ursächlich für die Ausweitung der Störung war anscheinend, daß der italienische Netzbetreiber GRTN nicht in der Lage war, innerhalb weniger Minuten eigene Kraftwerksreserven zu aktivieren und so die überlasteten Verbindungen durch die Schweiz zu entlasten.

Auslöser war ein Baum, der um drei Uhr morgens in der Nähe von Brunnen im Kanton Schwyz einer 380-kV-Leitung der Aare-Tessin-AG (Atel) zu nahe kam und dadurch die Abschaltung dieser wichtigen Nord-Süd-Verbindung über den Lukmanierpaß bewirkte. Unter normalen Umständen hätte diese Leitungsstörung keine gravierenden Auswirkungen gehabt. Die Atel leitete die üblichen Maßnahmen ein, um die Auswirkungen zu begrenzen. Offenbar habe aber die Koordinierung der schweizerischen und italienischen Netzbetreiber "in diesem Fall nicht ausreichend gewirkt", hieß es in einer Atel-Mitteilung, denn eine knappe halbe Stunde später habe sich im Misoxer Tal des Kantons Graubünden eine weitere Hochspannungsleitung wegen Überlastung abgeschaltet. Damit begann der kaskadenartige Zusammenbruch sämtlicher Verbindungen nach Italien. Zugleich kollabierte das gesamte italienische Netz, da es vom Importstrom abgeschnitten war.

Eine ähnliche Darstellung gab der schweizerische Netzkoordinator ETRANS, der als Gemeinschaftsgründung von sieben schweizerischen Transportnetzbetreibern seit Anfang 2000 das Hochspannungsnetz überwacht. Demnach hat er "wenige Minuten" nach dem Ausfall der ersten Leitung über den Lukmanierpaß mit dem italienischen Netzbetreiber GRTN Kontakt aufgenommen und ihn aufgefordert, die Produktion in Italien hochzufahren. Anscheinend sei jedoch auf italienischer Seite zu langsam reagiert worden, so daß ab 3.30 Uhr in kürzester Zeit alle grenzüberschreitenden Leitungen von Frankreich, der Schweiz, Österreich und Slowenien nach Italien wegen Überlastung abgeschaltet hätten. Um 3.45 Uhr habe der Wiederaufbau der Grenzleitungen begonnen. Gut neun Stunden später, gegen 13 Uhr, seien die Grenzleitungen nach Italien wieder in Betrieb gewesen. Sie hätten allerdings nur etwa 85 Prozent der vorgesehenen Strommengen ins italienische Netz einspeisen können, das erst teilweise wieder in Betrieb war. Vor allem in Süditalien gab es noch nachmittags und abends Gebiete ohne Strom. Große Schäden entstanden unter anderem durch den Ausfall von Gefriertruhen, in denen Lebensmittel verdarben. In der Nacht zum Sonntag wurden mehr als 110 Züge mit 30.000 Passagieren blockiert. In Rom überraschte der Stromausfall viele Besucher einer "Nacht der Museen", die wegen Stillstands der U-Bahnen nicht mehr nachhause kamen.

Die "Union for the Coordination of Transmission of Electrictiy" (UCTE), in der sich die westeuropäischen Verbundnetzbetreiber zusammengeschlossen haben, veröffentlichte am 29. September eine vorläufige Bestandsaufnahme. Demnach fielen ab 3.01 Uhr morgens sukzessive folgende Leitungen aus:

380 kV Lavorgo - Mettlen Schweiz
380 kV Sils - Soazza Schweiz
220 kV Airolo - Mettlen Schweiz
220 kV Lienz - Soverzene Österreich - Italien
380 kv (2x) Albertville - Rondissone Frankreich - Italien
220 kV Riddes - Avise/Valpellline Schweiz - Italien
380 kV Divacia - Redipuglia Slowenien - Italien
380 kV Praz - La Coche Frankreich
220 kV Robiei -Bavona Schweiz
220 kV Innertkirchen - Robiei Schweiz
380 kV Villarodin - Venaus Frankreich - Italien
380 kV Soazza - Bulciago Schweiz - Italien

Der Ausfall der Leitung Lavorgo - Mettlen durch einen zu nahe an die Hochspannungsleitung reichenden Baum sei noch ein normales betriebliches Ereignis gewesen, hieß es in der UCTE-Mitteilung. Unbeherrschbar sei die Lage erst zwanzig Minuten später geworden, nachdem auch die Leitung Sils - Soazza wegen Überlastung abschaltete. In kürzester Zeit seien darauf sämtliche Verbindungen nach Italien unterbrochen worden. Um den schlagartig entfallenden Importbedarf Italiens auszugleichen, hätten sämtliche europäischen Verbundpartner gemäß den Regeln des UCTE-Verbunds gegensteuern müssen (z.B. durch Senkung von Kraftwerksleistung oder Inbetriebnahme von Pumpspeicherkraftwerden zum Hochpumpen des Wassers mit elektrischer Energie). So hätten die deutschen und der französische Netzbetreiber binnen kürzester Zeit einen Überschuß von rund 3500 bzw. 3200 MW kompensiert, um Stromerzeugung und -verbrauch im Gleichgewicht zu halten.

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