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Auch nach Inkrafttreten der EU-Richtlinie von 1996 und des neuen Energiewirtschaftsgesetzes von 1998 wurde die Netznutzung in aller Regel noch als „Durchleitung“ bezeichnet. Der Begriff entstammte der Zeit vor der Liberalisierung. Schon sprachlich brachte er zum Ausdruck, daß er ein geschlossenes Versorgungsgebiet voraussetzte und daß es eine absolute Ausnahme darstellte, wenn „fremder“ Strom in dieses Versorgungsgebiet geliefert wurde.
Solche Durchleitungs-Fälle waren in der Tat sehr selten, wenn man vom Stromaustausch absieht, den die Stromversorger untereinander betrieben. Sie beschränkten sich im wesentlichen auf große Industriebetriebe, die ihren Strombedarf mit eigenen Kraftwerken deckten. Wenn ein solches Industriekraftwerk auch andere Standorte desselben Unternehmens versorgen wollte, mußte es dafür das Netz der öffentlichen Stromversorgung benutzen, da der Bau einer eigenen Leitung normalerweise nicht in Frage kam.
Die Durchleitung ging dann so vor sich, daß das Industriekraftwerk soviel elektrische Energie ins öffentliche Netz einspeiste, wie die Filiale am anderen Ende des Netzes verbrauchte. Und zwar möglichst zeit- und mengengleich, so daß die Einspeisungen die Entnahmen kompensierten. Die Einzelheiten regelte ein verbindlicher „Fahrplan“, den die Netzbenutzer mit dem Netzbetreiber vereinbarten.
Die Ausarbeitung des „Fahrplans“ und das sonstige Prozedere orientierte sich an den Gepflogenheiten, mit denen die Stromversorger ihren eigenen Stromaustausch regelten. Der Aufwand lohnte deshalb nur für große Strommengen. Mit der Verwendung des Wortes Durchleitung brachten die Beteiligten gewissermaßen zum Ausdruck, daß sie diese Transaktion als Fremdkörper in einer Stromlandschaft empfanden, die von geschlossenenen Versorgungsgebieten geprägt war.
Technisch-physikalisch war der Begriff Durchleitung immer fragwürdig, da er den Transport einer bestimmten Menge Strom von Punkt A zu Punkt B unterstellt. Strom ist aber nicht von stofflicher Beschaffenheit. Die Energieübertragung erfolgt auf der subatomaren Ebene und wird dort von negativ geladenenen Elementarteilchen bewirkt, die man als Elektronen bezeichnet. Und zwar handelt es sich um sogenannte freie Elektronen, wie sie in allen Metallen vorhanden sind. Diese Elektronen stoßen sich innerhalb des Stromleiters gewissermaßen gegenseitig an und sorgen so mit Lichtgeschwindigkeit für die Fortpflanzung der Spannung.
Es wäre deshalb ein hoffnungsloses Unterfangen, eine bestimmte Menge Energie auf ihrem Weg durch das Netz verfolgen zu wollen. Schon die Vorstellung eines Mengentransports ist falsch, da Strom keine Masse besitzt. Die Elektronen bewegen sich zwar selber auch, und wie anderen Elementarteilchen muß ihnen eine gewisse Masse zugebilligt werden, obwohl sie ungefähr 1836mal leichter sind als die Protonen, aus denen der Kern eines Atoms besteht. Die Eigenbewegung der Elektronen im Leiter beträgt aber erheblich weniger als einen Millimeter pro Sekunde. Bei diesem Schneckentempo bräuchten sie Jahre, um vom Kraftwerk zu einem hundert Kilometer entfernten Verbraucher zu gelangen. Und das gelänge ihnen auch nur bei Gleichstrom. In der öffentlichen Stromversorgung wird aber Wechselstrom verwendet. Das bedeutet, daß die Elektronen bei jedem Polwechsel in die entgegengesetzte Richtung zurückdriften. Sie treten praktisch auf der Stelle und kommen nicht vom Fleck.
Bei der „Durchleitung“ findet also gar keine Durchleitung im materiellen Sinne statt. Aus technisch-physikalischer Sicht läßt sich der Sachverhalt eher so beschreiben, daß der Entnahme von Strom an einer Stelle des Netzes die zeit- und mengengleiche Einspeisung von elektrischer Energie an anderer Stelle gegenübersteht. Da sich Einspeisungen und Entnahme die Waage halten, bleibt das Netz im Rahmen seiner Kapazität im Gleichgewicht. Der Netzbetreiber muß nur dann regelnd eingreifen, wenn Einspeisung und Entnahme voneinander abweichen.
Durch die gesetzlich vorgeschriebenen Entflechtung der Geschäftsbereiche Netzbetrieb und Stromverkauf wurde der Begriff Durchleitung auch in wirtschaftlicher Hinsicht obsolet, denn das Geschäft des Netzbetreibers beschränkte sich nun auf den Transport und die Verteilung elektrischer Energie. Im Prinzip spielte es nun keine Rolle mehr, wer den Strom ins Netz einspeist und wer ihn abnimmt. Die Durchleitung war kein Ausnahmefall mehr, sondern wurde zum ureigenen Geschäft des Netzbetreibers.
Der Begriff Durchleitung war sowohl technisch-physikalisch als auch wirtschaftlich
wenig geeignet zur Bezeichnung jenes Sachverhalts, den das neue Energierecht mit der
Öffnung der Netze erreichen wollte. Er war befrachtet mit dem historischen Ballast
geschlossener Versorgungsgebiete, deren Beseitigung ja gerade das Ziel des neuen Energierechts
war. Der neuen Situation angemessener war der Begriff Netznutzung.