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Die exakten Werte dieses Diagramms und weitere Einzelheiten sind einer gesonderten Tabelle zu entnehmen.

Die Strompreise gehen wieder nach oben

Mit dem Jahr 2000 war die Talfahrt der Strompreise zu Ende: Zum ersten Mal seit der Liberalisierung des Strommarktes mußten Haushalts- und Industriekunden wieder mit Preiserhöhungen rechnen. Die Stromversorger begründeten die Aufschläge mit der wachsenden Belastung des Strompreises durch Steuern und Abgaben, vor allem durch das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) und die Subventionierung der Kraft-Wärme-Kopplung (KWK). Da sie die Strompreise im Zeichen des Wettbewerbs ohnehin stark gesenkt und sehr knapp kalkuliert hätten, könnten sie diese zusätzlichen Kosten nicht mehr auffangen und müßten sie an die Verbraucher weitergeben. - Die Industrie und andere Verbraucher machten dagegen geltend, daß diese Faktoren nicht ausreichen würden, um die hohen Netznutzungsentgelte zu rechtfertigen. Es fehle an einer wirksamen Kontrolle der Netzbetreiber und generell an Wettbewerb.

Der Wiederanstieg der Strompreise läßt sich deutlich an dem oben abgebildeten Dow Jones / VIK-Strompreisindex ablesen, mit dem der Verband der Industriellen Energie- und Kraftwirtschaft (VIK) von März 1998 bis März 2002 monatlich die Durchschnittspreise für Industriekunden ermittelte (Preisangaben pro Kilowattstunde ohne Strom- und Mehrwertsteuer):

Zuerst kletterten die Haushaltsstrompreise

Nach diesem Diagramm war das Jahr 2000 für die Industrie noch ein ungetrübter Genuß mit den bislang niedrigsten Strompreisen seit der Liberalisierung. Das galt aber nicht für die Haushalts- und Gewerbekunden. Wie aus einer im Dezember 2001 veröffentlichten Studie des Rheinisch-Westfälischen Instituts für Wirtschaftsforschung (RWI) hervorgeht, zahlten die Haushalte schon Mitte 2000 mit 24,15 Pf/kWh wieder etwa denselben Strompreis wie vor der Liberalisierung. Seit Anfang 2001 habe der Strompreis für Haushalte mit durchschnittlich 25,50 Pf/kWh sogar schon deutlich höher gelegen (siehe Diagramm). Die stärksten Preissenkungen hätten sich nach Verabschiedung der zweiten Verbändevereinbarung ergeben, die Anfang 2000 in Kraft trat und das Durchleitungsverfahren vereinfachte. Zu Beginn der Liberalisierung seien die Strompreissenkungen durch sinkende Brennstoffkosten erleichtert worden (siehe Diagramm).

Der Verband der Elektrizitätswirtschaft (VDEW) veranschlagte die monatliche Stromrechnung eines deutschen Drei-Personen-Durchschnittshaushaltes mit mittlerem Stromverbrauch (3500 kWh/a) für das Jahr 2007 auf 60,20 Euro. Wie die folgende Tabelle zeigt, wurde die Stromrechnung des Jahres 1998 (49,95 Euro) schon 2003 wieder übertroffen. Allerdings erhöhten sich in diesem Zeitraum die staatlich auferlegte Lasten von knapp einem Viertel auf mehr als ein Drittel des Strompreises:


Durchschnittliche Stromrechnung eines Drei-Personen-Musterhaushalts pro Monat in Euro*


1980 1990 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004
2005 2006 2007
Stromrechnung insgesamt 22,50 37,00 49,95 48,20 40,66 41,76 46,99 50,14 52,38
54,43 56,76 60,20
- Mehrwertsteuer ** 3,32 4,54 6,90 6,65 5,60 5,75 6,48 6,92 7,23
7,51 7,83 9,61
- Konzessionsabgabe *** 2,65 3,65 5,22 5,22 5,22 5,22 5,22 5,22 5,22
5,22 5,22 5,22
- Kraft-Wärme-Kopplungs-Gesetz (KWKG) - - - - 0,38 0,58 0,73 0,96 0,91
0,99 0,99 0,85
- Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG)**** - - 0,23 0,28 0,58 0,67 1,02 1,23 1,49
2,01 2,22 2,85
- Kohlepfennig 0,97 2,47 - - - - - - -
-
- -
- Stromsteuer ("Ökosteuer") - - - 2,25 3,73 4,46 5,22 5,97 5,97
5,97 5,97 5,97
Erzeugung, Transport und Vertrieb 18,56 26,34 37,60 33,80 25,15 25,08 28,32 29,84 31,56
32,73 34,53 35,70

* Jahresverbrauch 3500 Kilowattstunden.
** 1980: 13 Prozent; 1990: 14 Prozent; 1998/2005: 16 Prozent)
*** regional sehr unterschiedlich: ab 1992 je nach Gemeindegröße 1,32 bis 2,39 Cent/kWh
**** bis 2000 Stromeinspeisungsgesetz

Quelle: VDEW


Auch Industriestrompreise wieder auf alter Höhe

Anfang 2003 bewegten sich auch die Industriestrompreise wieder auf dem Niveau vor der Liberalisierung des Marktes. Diese Feststellung traf der Verband der Industriellen Energie- und Kraftwirtschaft (VIK). Er stützte sich dabei auf einen neuen Strompreisindex für industrielle Großverbraucher (Mittelspannungskunden), der den früheren Dow Jones/VIK-Index abgelöst hatte. Der alte Index basierte auf Preisangaben der Stromversorger, die in der Praxis vielfach unterschritten wurden und deshalb um so mehr an Aussagewert verloren, je mehr die tatsächlich vereinbarten Stromlieferverträge von den firmenoffiziellen Vorgaben abwichen. Deshalb dürfte der Durchschnittspreis zuletzt, als der Index einen Wert von 6,391 Cent/kWh nannte, tatsächlich zwischen 3,5 und 5,5 Cent/kWh gelegen haben.

Der neue VIK-Strompreisindex nennt dagegen keine Preise mehr, sondern nur Relationen, die auf dem Januar 2002 als Bezugsmonat mit dem Wert 100 basieren. Außerdem wird der Durchschnitts-Strompreis auf andere Weise ermittelt: Er setzt sich nun aus Börsen-Strompreisen und Netznutzungsentgelten zusammen. Als Strompreis gilt der Durchschnittspreis des Vormonats am EEX-Terminmarkt für die kommenden vier Quartalsprodukte. Der Anteil von "Base" und "Peakload" wird in Abhängigkeit von typischen Jahresbenutzungsstunden bei Industriekunden (3000, 4000, 5000 und 6000 h/a) gewichtet. Das Netznutzungsentgelt errechnet sich aus den Gebühren, die die Regelzonennetzbetreiber für entsprechende Mittelspannungslieferungen verlangen.

Dieser neue Strompreisindex kletterte seit seinem Start fast kontinuierlich nach oben, wie das untenstehende Diagramm zeigt, und erreichte im Januar 2008 einen vorläufigen Höchststand mit dem Indexwert 188,49. Das heißt, daß die Strompreise für Mittelspannungskunden binnen sechs Jahren um 88 Prozent gestiegen waren. Da der Index keine absoluten Strompreise nennt, könnte man hilfsweise für den Index-Wert 100 im Januar 2002 den noch nach dem alten Dow Jones / VIK-Strompreisindex ermittelten Wert von 6,391 Cent/kWh ansetzen. Der im Januar 2008 erreichte Index 165,25 entspräche dann einem Durchschnittspreis von gut 12 Cent/kWh. Das stimmt mit Angaben der Bundesnetzagentur überein, die für April 2007 einen Preise von etwa 11 Cent/kWh ermittelte.


Liberalisierung führt nicht automatisch zu fallenden Preisen

Offensichtlich hat also die Liberalisierung des Strommarktes keine dauerhafte Senkung der Preise bewirkt. Die Gründe dafür liegen zum Teil in der Zunahme staatlicher Belastungen des Strompreises, zum Teil aber auch in einer Entspannung der anfänglichen Wettbewerbssituation. Als weiterer Faktor sind erhöhte Kosten zu berücksichtigen, die ohne die Liberalisierung des Strommarktes nicht angefallen wären. Hier wären vor allem der Aufwand für das komplizierte Prozedere der Netznutzung und die enorme Steigerung der Werbeetats zu nennen.

Unter den hier skizzierten Umständen wundert es nicht, daß das Interesse der Stromverbraucher an den Möglichkeiten des liberalisierten Marktes deutlich nachließ: Wie eine Umfrage des Magazins "stern" ergab, wußten im August 2002 nur noch 38 Prozent der Bundesbürger annähernd, was ihr Stromversorger für die Kilowattstunde verlangt, während im März 2001 noch rund 45 Prozent informiert waren. Ebenfalls gesunken war die Bereitschaft, den Stromanbieter zu wechseln: Während im August 1999 noch 64 Prozent der Stromverbraucher einen Wechsel in Erwägung zogen - wobei 30 Prozent fest dazu entschlossen waren - sanken die entsprechenden Zahlen im August 2002 auf 40 bzw. 16 Prozent. Tatsächlich gewechselt hatte nur eine kleine Minderheit von 4,0 Prozent (Mai 2000) bzw. 3,6 Prozent (August 2002).

Gleichzeitig war - als Folge des Wiederanstiegs und der Angleichung der Strompreise - die Preisgrenze für die Wechselbereitschaft deutlich gesunken: Im März 2001 konnte eine Preisdifferenz von bis zu zehn Prozent nur 34 Prozent der Stromkunden locken. Im August 2002 sahen 45 Prozent darin einen Anreiz zum Wechsel des Stromanbieters.

Kritik an mangelndem Wettbewerb auf dem Strommarkt

Der Wiederanstieg der Strompreise auf das alte Niveau vor der Liberalisierung ließ in den Medien kritische Stimmen zum Stand des Wettbewerbs auf dem deutschen Energiemarkt laut werden. "Von einem funktionsfähigen Wettbewerb kann keine Rede mehr sein" schrieb etwa "Der Spiegel" im Februar 2003 in einem Artikel zur Lage auf dem Strommarkt. "Nicht einmal vier Jahre nach Einführung der ersten alternativen Stromangebote drohen den Verbrauchern erneut monopolistische Verhältnisse." Für die Nutzung der Stromnetze würden "völlig irrationale Preise" verlangt, um Konkurrenten zu behindern und auszuschalten. Viele kleine und mittlere Stromanbieter hätten inzwischen Insolvenz angemeldet, ihre Angebote eingestellt oder ihre Kunden zum Verkauf an große Stromversorger angeboten. Zugleich hätten die etablierten Stromversorger ihre Billig-Stromangebote, mit denen sie auf die Herausforderung durch die neuen Stromanbieter reagierten, inzwischen eingestellt oder stark zurückgefahren. Ehemalige Monopolisten wie RWE und E.ON seien nach einer beispiellosen Fusions- und Übernahmewelle stärker denn je.

"Zorn kommt auf, wenn in diesen Tagen die Jahresendabrechnungen der Stromlieferanten eingehen", bemerkte die "Frankfurter Allgemeine" Anfang 2003. "Von den vermeintlichen Segnungen der Strommarktliberalisierung spürt der Privathaushalt wenig. Seine Stromrechnung steigt und steigt."

Zum Jahreswechsel 2004 erfolgte ein weiterer Preisschub, der für Haushaltskunden den Strom endgültig teurer machte als vor der Liberalisierung. Bundesumweltminister Jürgen Trittin (Grüne) ließ das Argument der Stromversorger, an dem Preisfiasko seien vor allem das Erneuerbare-Energie-Gesetz und andere staatliche Belastungen schuld, nicht gelten: Im Januar 2004 warf er den deutschen Stromversorgern vor, sie wollten ihre Kunden noch schnell "abzocken", bevor die geplante Regulierungsbehörde für den Strom- und Gasmarkt im Sommer des Jahres ihre Tätigkeit aufnimmt.

Neue Preiserhöhungswelle nach dem Wegfall der Tarifaufsicht

Es dauerte bis Juni 2006, ehe die Bundesnetzagentur, wie die neue Regulierungsbehörde genannt wurde, ihre Arbeit tatsächlich aufnehmen und zum ersten Mal die überhöhten Entgelte der Netzbetreiber kürzen konnte. Der Anteil der Netzkosten am Strompreis für Haushalte sank dadurch binnen eines Jahres von 38,6 auf 31,5 Prozent. Zugleich stiegen aber die Strompreise um etwa sechs Prozent. Die gesunkenen Netzkosten konnten deshalb keine Preisreduzierung bewirken, sondern den Preisanstieg nur dämpfen.

Vor allem nach dem Wegfall der Tarifaufsicht zum 1. Juli 2007 stiegen die Strompreise für Haushalte und andere Kleinverbraucher auf breiter Front . Den Anfang machten die Energie Baden-Württemberg und Vattenfall Europe. Im Oktober kündigten auch E.ON und RWE Strompreiserhöhungen um bis zu zehn Prozent an, ohne dies plausibel begründen zu können. Sie lösten damit bundesweit Empörung aus, die parteiübergreifend von Sprechern der Bundestagsfraktionen geteilt wurde. Auf die allseitige Kritik reagierten die Konzerne nur mit einer Verstärkung ihrer ganzseitigen Image-Anzeigen und sonstigen Werbemaßnahmen. Offenbar wollen sie den tiefen Griff in die Taschen der Haushaltskunden, der durch den Verzicht auf eine Verlängerung der Tarifaufsicht möglich wurde, ohne Rücksicht auf Imageverluste durchziehen und die Gunst der Stunde nutzen.

Die Beseitigung der Tarifaufsicht zum 1. Juli 2007 war Bestandteil der Neuregelung des Energierechts im Jahre 2005. Man hatte etwas leichtfertig angenommen, daß die behördliche Kontrolle der Tarife durch die Netzentgelt-Genehmigungen der Bundesnetzagentur und die anschließende Anreizregulierung überflüssig werden würde. Tatsächlich verschob sich aber der Beginn der Anreizregulierungsverordnung um ein ganzes Jahr auf den 1. Januar 2009. Es gab zwar politische Vorstöße zu einer Verlängerung der Tarifaufsicht, doch wurden diese dann zugunsten einer Verschärfung des Kartellrechts fallengelassen. Fortan hatten die Konzerne gegenüber dem Kartellamt zu beweisen, daß ihre Preise nicht mißbräuchlich überhöht waren. Das Ziel dieser bis 2012 befristeten Vorschrift war es, die bestehende Mißbrauchsaufsicht zu schärfen, bis neue Kraftwerke gebaut sind und neue Anbieter in den Markt kommen. Sinn und Wirksamkeit dieser Gesetzesänderung waren von Anfang an umstritten.

Kraftwerksbetreiber können Preise bestimmen

Immer deutlicher zeigt sich inzwischen, daß die überhöhten Netzentgelte nur einer der Faktoren waren, die einen wirksamen Wettbewerb auf dem Strommarkt verhinderten. Ein noch größeres Hemmnis war der Umstand, daß vier Fünftel der deutschen Stromerzeugung von den vier Konzernen E.ON, RWE, Vattenfall und EnBW kontrolliert wurden. Sie konnten damit das Strompreisniveau bestimmen, unabhängig davon, ob sie den Strom direkt an Weiterverteiler oder Endkunden liefern oder über die Strombörse anboten. Da die an der Strombörse ermittelten Großhandelspreise als Referenzpreise akzeptiert wurden, lag es für die Großstromerzeuger nahe, auch hier ihre Marktmacht gezielt einsetzen, um die Börsenpreise in die Höhe zu treiben. Im Unterschied zu den reinen oder überwiegenden Verteilern konnten die vier Konzerne auf diese Weise die Abstriche an den Netzentgelten leicht verschmerzen. Da sie sich gegenseitig offensichtlich keine Konkurrenz machten – dazu bedurfte es nicht einmal direkter Preisabsprachen, wie der Vorsitzende der Monopolkommission feststellte – konnte ein Sinken der Strompreise nur durch unabhängige Stromerzeuger bewirkt werden, die mit ihren Kraftwerken dem Oligopol der vier Konzerne Paroli bieten und unter Ausnutzung einer mittlerweile funktionierenden Regulierung des Netzbetriebs in den Markt eintreten. Da die vier Konzerne das Preisniveau enorm in die Höhe getrieben haben, könnten solche Investoren auch dann mit Gewinn rechnen, wenn sie dieses Niveau kräftig unterbieten.

Vor diesem Hintergrund drang die Bundesnetzagentur Ende 2007 in ihrem zweiten "Monitoringbericht" auf einen beschleunigten Ausbau der Kraftwerkskapazitäten. Sie berücksichtigte dabei allerdings nicht, daß es sehr wohl darauf ankommt, wer neue Kraftwerke baut. Die Monopolkommission vertraute dagegen nicht darauf, daß es schon gelingen werde, die hohen Erzeugerpreise mit einem verschärften Kartellrecht in den Griff zu bekommen. In einem zum selben Zeitpunkt vorgelegten Sondergutachten "Strom und Gas 2007" plädierte sie sogar dafür, den etablierten Kraftwerksbetreibern eine Zwangspause beim Bau neuer Erzeugungskapazitäten aufzuerlegen, damit unabhängige Kraftwerksbetreiber bessere Chancen haben. Eine solche Zwangspause hätte zugleich verhindert, daß eine Vielzahl geplanter Kraftwerke zu Engpässen bei den Lieferanten führt, wodurch der Markteintritt unabhängiger Kraftwerksbetreiber zusätzlich verhindert, behindert oder zumindest verteuert würde.