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Wie die nebenstehende Grafik zeigt, hatten 2003 noch immer siebzig Prozent der Haushaltskunden den alten Vertrag mit ihrem Stromversorger. Nur fünf Prozent hatten seit der Liberalisierung ihren Lieferanten gewechselt. Die übrigen blieben Kunden des angestammten Versorgers, mit dem sie einen neuen Vertrag schlossen (25 Prozent).

Bei Gewerbe und Industrie war der Lieferantenwechsel wesentlich stärker ausgeprägt.

Quelle: VDEW-Kundenfokus 2003 / VIK

Bis 2007 wechseln nur wenige Haushalte

Schon Ende des Jahres 1999 waren die Strompreise für Haushalte bundesweit auf breiter Front gesunken. Schließlich konnte und wollte es sich kein Versorger auf Dauer leisten, wesentlich ungünstiger als die Konkurrenten zu sein, die ihre Billigstrom-Angebote zum Teil mit riesigem Werbeaufwand propagierten. Das hatte aber wiederum zur Folge, daß im Endeffekt nur wenige Privatkunden tatsächlich den Lieferanten wechselten. Zum Beispiel registrierte einer der großen bundesweiten Anbieter bei 100 000 Anfragen gerade mal tausend Abschlüsse. Die große Mehrheit der Haushaltskunden blieb den angestammten Versorgern treu, da sie sich von einem Wechsel entweder keine oder nur geringe Vorteile versprachen.

Ein weiterer Grund für die fehlende Wechselbereitschaft war der schwierige Vergleich der Angebote: Neben dem Arbeitspreis pro Kilowattstunde mußten unterschiedliche Grundpreise, Mindestverbräuche, Vertragslaufzeiten oder andere Punkte berücksichtigt werden. Abhilfe versprachen vergleichende Übersichten, wie sie bald in verschiedenen Medien erschienen. Wer bereits einen Internet-Anschluß besaß, konnte sich von "Stromtarifrechnern" das für ihn günstigste Angebot heraussuchen und bis auf den Pfennig berechnen lassen.

Bis zum Herbst 2001 hatten von den 39 Millionen Haushalten in Deutschland nur etwa 1,4 Millionen den Stromanbieter gewechselt. Das waren 3,7 Prozent. Weitere rund 28 Prozent der Haushalte waren auf das Angebot ihres alten Stromlieferanten eingegangen, einen neuen Stromliefervertrag mit günstigeren Konditionen abzuschließen.

Neuregelung erleichtert die Durchleitung

Als Bremse für die Wechselbereitschaft wirkte ferner die anfangs geltende Durchleitungsregelung, die praktisch auf Großkunden zugeschnitten war. Die Flut von Privatkunden-Angeboten, die im zweiten Halbjahr 1999 einsetzte, erfolgte im Grunde bereits im Vorgriff auf die geplante Neuregelung, die ab dem Jahr 2000 das Durchleitungsverfahren weiter vereinfachte und auch Kleinverbrauchern den problemlosen Wechsel des Lieferanten ermöglicht. Nur wenige Anbieter waren indessen bereit, das bis dahin bestehende Risiko der Durchleitung zu tragen und die versprochene Verbilligung der Stromrechnung in jedem Fall zu garantieren. Die meisten sicherten sich durch entsprechende Klauseln in den Verträgen gegen ein eventuelles Nichtzustandekommen der Stromlieferung ab. Verbraucherzentralen warnten deshalb vor voreiligem Wechsel des Stromversorgers und mahnten zu sorgfältigem Studium des "Kleingedruckten".

Im Fall des Anbieters Vossnet bestand nicht einmal die Absicht zur Durchleitung: Die Firma warb mit 18 Pf/kWh bei einem monatlichen Grundbetrag von 9,90 Mark. Obendrein versprach sie kostenlosen Zugang zum Internet. Die Bremer Staatsanwaltschaft hegte allerdings den Verdacht, daß die Firma gar nicht liefern wolle und könne, sondern es in Wirklichkeit auf die vorab kassierte einmalige "Abschlußgebühr" von 60 Mark abgesehen habe. Als die Polizei die Firmenräume durchsuchte, hatten bereits 27 000 Interessenten ihre Abschlußgebühr bezahlt. Das Landgericht Bremen verurteilte den Vossnet-Chef wegen Betrugs und Insolvenzverschleppung zu vier Jahren Haft.

Auch im internationalen Vergleich war die Wechselrate der deutschen Stromkunden sehr bescheiden, wie aus diesen Grafiken hervorgeht, die von der EU-Kommission im November 2005 veröffentlicht wurden. Beim Gas gab es in Deutschland - im Unterschied zu anderen Ländern - sogar überhaupt noch keinen Lieferantenwechsel.

Yello verabschiedet sich vom bundesweiten Billigstrom-Angebot

Neben der mitunter zweifelhaften Seriosität der neuen Anbieter behinderten anfangs vielfach bürokratische Schikanen und technische Mängel den Wechsel der Haushaltskunden. Nachdem diese Probleme beseitigt waren oder zumindest keine große Rolle mehr spielten, war es vor allem das allgemeine Erlahmen des Wettbewerbs in Verbindung mit den weiterhin überhöhten Netzentgelten, was die Wechselbereitschaft zum Erliegen brachte. Es lohnte sich einfach nicht, wegen ein paar Cent den Lieferanten zu wechseln, zumal die Strompreise jetzt wieder allgemein nach oben gingen und ein momentan etwas günstigerer Anbieter schon nach einem Vierteljahr der ungünstigere sein konnte.

Das deutlichste Signal für dieses Erlahmen des Wettbewerbs setzte die EnBW-Vertriebstochter Yello, als sie sich Anfang 2003 von ihrem bundesweit einheitlichen Billig-Stromangebot verabschiedete. Stattdessen bot sie nun regional unterschiedliche Strompreise an, die allenfalls knapp unter den Preisen der örtlichen Versorger lagen. Die EnBW beendete damit ihren Versuch, den deutschen Strommarkt mit einem bundesweiten Billigstromangebot aufzurollen, der ihr bis dahin zwar rund eine Million Kunden, zugleich aber auch Verluste in Höhe von rund 500 Millionen Euro eingebracht hatte. Sie hatte bei ihrer Strategie vergessen, daß die Regelung der Netzentgelte den Unternehmen der Stromwirtschaft per "Verbändevereinbarung" überlassen worden war. Im Gegensatz zur EnBW war aber die große Mehrheit der Branche an möglichst hohen Netzentgelten interessiert. Das galt für die drei anderen Konzerne ebenso wie für die Hunderte von kleineren Versorgern, für die Yello zeitweilig ein regelrechter Angstgegner geworden war.

Der Wendepunkt: Vattenfall laufen 250.000 Kunden davon

Eine deutliche Zunahme der Wechselbereitschaft zeigte sich erst wieder 2007, nachdem die neue Bundesnetzagentur ihre Tätigkeit aufgenommen und die Genehmigungsanträge der Netzbetreiber kräftig gestutzt hatte. Die wichtigste Hürde für konkurrierende Anbieter war damit niedriger geworden. Trotz der Senkung der Netzentgelte stiegen aber die Strompreise weiter, da die vier Konzerne E.ON, RWE, Vattenfall und EnBW mehr als achtzig Prozent der Stromerzeugung kontrollierten und über den Anstieg der Großhandelspreise noch erheblich mehr gewinnen konnten, als ihnen durch Kürzungen an den Netzentgelten verloren ging.

Der Leidensdruck der Verbraucher erhöhte sich durch den Wegfall der Tarifaufsicht zum 1. Juli 2007. Als erster der vier Konzerne nutzte Vattenfall die Chance, um seinen bisherigen Tarifkunden in Hamburg und Berlin kräftige Preissteigerungen abzuverlangen. Dabei war Vattenfall schon bisher ungünstiger als die örtlich ebenfalls verfügbaren Angebote von Nuon oder "E wie Einfach". Mit der erneuten Preiserhöhung war die Schmerzschwelle überschritten: Die Kunden in Hamburg und Berlin flüchteten zuhauf. Zuerst sprach Vattenfall nur von "einigen Hundert" Kunden, die abhanden gekommen seien. Dann war von einer "fünfstelligen" Zahl die Rede. Vier Monate nach Inkrafttreten der Preiserhöhung mußte Vattenfall den Verlust von "rund 100.000" Kunden zugeben, und etwas später waren es sogar 250.000.

Generell wuchs nun bei Haushalten und anderen Kleinverbrauchern die Bereitschaft, auch relativ geringe Preisvorteile zu nutzen und einen anderer Lieferanten zu wählen. "Wir konnten 2007 gegenüber dem Vorjahr eine Verdopplung der Zahl der Kunden beobachten, die ihren Stromanbieter gewechselt haben", resümierte der Chef der Regulierungsbehörde, Matthias Kurth im Januar 2008. Insgesamt hätten mehr als eine Million Kunden im vergangenen Jahr ihren angestammten Versorger verlassen. Allein in den letzten zwei Jahren sei auf dem deutschen Strommarkt "mehr passiert als in den 20 Jahren davor."

Alle Konzerne legen sich Billigstrom-Töchter zu

Die meisten Wechselwilligen entschieden sich allerdings nicht für unabhängige Anbieter, sondern landeten bei den vier Konzernen, die sich inzwischen eigene Billganbieter zugelegt hatten, die sie mit großem Reklameaufwand propagierten. So konnte der Energiekonzern E.ON mit seiner bundesweiten Discount-Vertriebstochter "E wie einfach" im Jahr 2007 weitaus mehr Kunden neu gewinnen, als ihm bei den etablierten Regionalgesellschaften verloren gingen. Auch RWE hatte sich inzwischen mit "Eprimo" eine Billigstrom-Tochter zugelegt, um möglichst viele der Wechselwilligen im eigenen Konzernbereich aufzufangen. Die EnBW verfügte schon seit über sieben Jahren mit "Yello" über eine bundesweite Vertriebstochter, die nun ebenfalls weitere Kunden gewinnen konnte, insgesamt aber infolge der neuen Konkurrenten an Marktanteilen verlor. Als letzter der vier Konzerne startete auch Vattenfall Anfang 2008 ein bundesweites Internet-Stromangebot namens "easy".

Obwohl diese Töchter den Strom im allgemeinen etwas billiger anboten, blieben sie in die Strategie der Mütter eingebunden. Sie stellten deshalb keine wirklich alternativen Anbieter dar, sondern dienten deren Abwehr. Die Konzerne wollten so verhindern, daß es in ihrem Bereich erneut zu einer solchen Kundenflucht kommt, wie sie Vattenfall im zweiten Halbjahr 2007 erlebte.