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Einer der ersten Großkunden, die nach dem Inkrafttreten der Liberalisierung eine erhebliche Verbilligung ihres Strombezugs erreichten, war die Flughaften Frankfurt AG (FAG). Im Ringen um diesen Großauftrag setzten sich die bisherigen Lieferanten Mainkraftwerke und Mainova unter anderen gegen ein Konsortium mit der Energie Baden-Württemberg durch. Wenig später gründete die Flughafengesellschaft eine Tochtergesellschaft namens Energy Air, die seitdem den Markt beobachtet, um die Versorgung des Flughafens mit Strom und Fernwärme zu möglichst günstigen Konditionen sicherzustellen.

Die deutsche Stromwirtschaft im Umbruch

Am 29. April 1998 begann in der deutschen Stromwirtschaft - zumindest theoretisch - der Wettbewerb. An diesem Tag trat ein neues Energierecht in Kraft, das die geschlossenen Versorgungsgebiete für elektrische Energie beseitigte. Stromlieferanten brauchen seitdem über keine eigenen Leitungen mehr zu verfügen, um mit einem Abnehmer handelseinig zu werden. Es genügt, wenn die technischen Voraussetzungen für eine "Durchleitung" des Stroms zum Kunden gegeben sind. Die Betreiber der benötigten Leitungen sind dann verpflichtet, ihr Netz für die Übermittlung der vereinbarten Menge elektrischer Energie zur Verfügung zu stellen. Allerdings haben sie Anspruch auf ein angemessenes Entgelt.

Rund 1000 EVU treten zum Wettbewerb an

Beim Inkrafttreten des neuen Energierechts im Jahre 1998 gab es in Deutschland rund 1000 Unternehmen der öffentlichen Stromversorgung, (EVU), die jeweils genau abgegrenzte Versorgungsgebiete hatten. Je nach dem Schwerpunkt ihrer Tätigkeit unterschied man zwischen acht Verbundunternehmen, ca. 80 Regionalversorgern und insgesamt über 900 Stadtwerken.

Bis zur Liberalisierung konnte man deshalb die deutsche Stromwirtschaft sehr schön auf Karten darstellen: Die Versorgungsgebiete waren so klar abgesteckt wie die politischen Grenzen von Ländern, Kreisen und Gemeinden, mit denen sie in aller Regel übereinstimmten.

Keine geschützten Versorgungsgebiete mehr

Das neue Energierecht ließ diese altvertraute Karte der deutschen Stromversorgung zu Makulatur werden. Geschützte Versorgungsgebiete gibt es seitdem nicht mehr. Technisch blieben die Verbraucher zwar weiterhin dem Netz des angestammten Versorgers verbunden, die Rechnung konnten sie sich aber nun vom jeweils günstigsten Anbieter ausstellen lassen. Über die alten, aufgehobenen Grenzen der Versorgungsgebiete hinweg vermischten sich die Kundenstämme.

Trennung von Erzeugung, Netz und Vertrieb

Zugleich verschwanden allmählich die Energieversorgungsunternehmen (EVU) alten Typs, die Stromerzeugung, Netzbetrieb und Verkauf unter einem Dach vereinten. Das neue Energierecht verlangte von den EVU zunächst zwar nur eine getrennte Buchführung für die Bereiche Erzeugung, Übertragung und Verteilung sowie für Aktivitäten außerhalb des Elektrizitätsbereichs. Erst die zweite EU-Richtlinie zur Öffnung der europäischen Strommärkte vom Juni 2003 erzwang auch eine rechtliche Trennung des Netzbereichs von den übrigen Aktvitäten mit jeweils unabhängigen Management-Strukturen. In der Praxis zogen sich aber vor allem große EVU schon früher auf die Rolle einer Holding zurück und überließen das operative Geschäft juristisch eigenständigen Gesellschaften für Erzeugung, Netz und Marketing. Zum Beispiel löste der RWE-Konzern im Sommer 2000 die RWE Energie AG auf, die bis dahin das ganze Stromgeschäft unter einem Dach vereint hatte. Stattdessen gab es fortan rechtlich selbständige Gesellschaften für Netz (RWE Net), Erzeugung (RWE Power) und Vertrieb (RWE plus) unter dem Dach der Konzernholding RWE AG. Die neue E.ON Energie AG, die damals soeben aus der Zusammenlegung von Bayernwerk und PreussenElektra entstanden war, gründete ebenfalls rechtlich eigenständige Tochterunternehmen für Netz, Erzeugung und Vertrieb.

Es mußte nun um jeden Kunden regelrecht geworben werden. Das gewichtigste Argument war dabei der Preis. Wenn aber die Preise schneller sanken als die Kosten, schmolzen die Gewinnmargen. Es konnte auch kein Ausgleich durch Ausweitung des Umsatzes erfolgen, da der Stromverbrauch mehr oder weniger stagnierte. Dies unterschied die liberalisierte Stromwirtschaft ganz wesentlich von der ebenfalls liberalisierten Telekommunikations-Branche. Unter dem Druck des Wettbewerbs wurde deshalb auf allen Ebenen reorganisiert, rationalisiert, kooperiert und fusioniert. Schon bald waren etliche traditionsreiche Namen verschwunden, die bis zu einem Jahrhundert lang ihren festen Platz auf der Karte der deutschen Stromversorgung hatten. Die Liberalisierung schuf eine völlig neue Situation, die im Zeitraffer-Tempo alte Strukturen vergehen und neue entstehen ließ.

Der Wettbewerb läßt wieder nach und Strom wird teurer als zuvor

Im folgenden wird gezeigt, wie unmittelbar nach der Liberalisierung der Wettbewerb tatsächlich in Fahrt kam und zu wesentlich sinkenden Stromrechnungen führte - bis etwa um die Mitte des Jahres 2000 die Strompreise für Haushalte und Industrie wieder zu steigen begannen und sogar bald höher waren als vor der Liberalisierung. Zum Teil lag dies an den mittlerweile stark erhöhten staatlichen Belastungen des Strompreises. Noch wichtiger war aber nach Ansicht von Kritikern der Umstand, daß es in Deutschland als einzigem Land der EU keine Regulierungsbehörde gab, welche die Höhe der Netznutzungsentgelte wirksam überwachte. Es war vielmehr den Stromunternehmen überlassen worden, auf freiwilliger Basis die Bedingungen für den Netzzugang und die Berechnung der Entgelte zu vereinbaren. Eigentümer der Netze waren aber ausschließlich die alten EVU, auch wenn deren Netzbetrieb mittlerweile buchhalterisch getrennt war oder sogar eine rechtlich eigenständige Gesellschaft bildete. Diese alten "Platzhirsche" konnten die Netznutzungsentgelte so hoch ansetzen, wie es die von ihnen selber festgelegten Bestimmungen zuließen. Die meisten der neuen Stromanbieter mußten bald aufgeben. Auch unter den etablierten Stromversorgern ließ der Wettbewerb stark nach. Einer kurzen Phase scharfer Konkurrenz folgte der Rückzug auf die angestammten Versorgungsgebiete. Insbesondere galt dies für die vier großen Stromkonzerne RWE, E.ON, Vattenfall und EnBW, die nicht nur über achtzig Prozent der Stromerzeugung kontrollieren und das Transportnetz betreiben, sondern direkt oder indirekt auch den größten Teil des Endkundengeschäfts kontrollieren. Die amtliche Monopolkommission beklagte in ihrem 15. Hauptgutachten für die Jahre 2002/2003 ein "wettbewerbsloses Oligopol", das von der Großhandelsebene auf sämtliche Bereiche der Stromwirtschaft ausstrahle und überall den Wettbewerb lähme.