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Mit der Ruhrgas AG übernahm E.ON auch deren seit drei Jahrzehnten bestehenden Gas-Lieferbeziehungen mit Rußland bzw. der früheren Sowjetunion. Das Bild zeigt die Unterzeichnung des ersten Gas-Liefervertrags zwischen Ruhrgas und Sojuzgazexport am 1. Februar 1970.

Der neue Gigant

E.ON darf sich die Ruhrgas einverleiben und wird damit auch beim Gas zum Marktführer

Im Gefolge der Liberalisierung des Energiemarktes kam es zu Fusionen, die früher undenkbar gewesen wären, und zwar schon deshalb, weil sie das Bundeskartellamt oder die EU-Kommission mit Sicherheit verhindert hätten. So hatte das Bundeskartellamt noch 1996 die geplante Beteiligung des Veba-Konzerns an den Stadtwerken Bremen untersagt, weil dadurch die Veba-Tochter PreussenElektra eine zu starke marktbeherrschende Stellung erreichen würde.

Drei Jahre später, im August 1999, konnte die Veba sogar ihre Fusion mit dem Viag-Konzern ankündigen, ohne daß die Wettbewerbshüter grundsätzlichen Einspruch erhoben. So kam im Sommer 2000 eine "Elefantenhochzeit" zustande, die zunächst die deutsche Stromlandschaft und nur zwei Jahre später auch die Gaswirtschaft grundlegend veränderte.

Veba und Viag waren ursprünglich staatliche Konzerne, die vor allem weite Bereiche der Energiewirtschaft und der Chemie kontrollierten. Bei der Veba, die bis 1970 "Vereinigte Elektrizitäts- und Bergwerks AG" hieß, kam dies schon im Namen zum Ausdruck. Aber auch die "Vereinigte Industrie-Unternehmungen AG" (VIAG) war im wesentlichen auf diesem Gebiet tätig.

Besondere Perlen beider Konzerne waren die Strom-Verbundunternehmen PreussenElektra (Veba) und Bayernwerk (Viag). Diese wurden nun unter dem Dach des neu entstandenen Konzerns, der den Kunstnamen E.ON erhielt, zur E.ON Energie AG zusammengelegt. Damit entstand ein Stromkonzern, dessen Geschäftsgebiet von den Alpen bis zur Nordsee reichte. Die EU-Kommission hatte ihre Erlaubnis der Fusion zwar mit ein paar Bedingungen verbunden, zu denen vor allem der Rückzug aus dem ostdeutschen Verbundunternehmen Veag und die Abgabe von Beteiligungen an VEW, Bewag und HEW gehörten. Aber diese Auflagen waren für den neuen Giganten leicht zu verschmerzen.

Umso mehr schmerzte ihn, daß er im Gasbereich kaum etwas besaß, was über regionales Verteilgeschäft hinausging. Es war zum Teil auch eine Art Phantomschmerz über verloren gegangene Glieder. Denn früher war die Veba mit 25 Prozent an der Ruhrgas AG beteiligt gewesen. Gemeinsam mit der Ruhrkohle AG hatte sie sogar 60 Prozent der Stimmrechte kontrolliert.

Vorgängerin Veba war mit Ministererlaubnis bei Ruhrgas ein- und wieder ausgestiegen

Die Veba, deren Hauptaktionär damals noch der Bund war, hatte die Beteiligung an der Ruhrgas 1974 durch Übernahme der Gelsenberg AG erworben, wobei der Widerstand des Bundeskartellamts durch eine umstrittene Sondererlaubnis des damaligen Bundeswirtschaftsministers Hans Friderichs (FDP) ausgehebelt worden war. Sie hatte die Gelsenberg AG aber schon 1978 wieder an den Mineralölkonzern BP verkauft, wobei der Einspruch des Bundeskartellamts erneut an einer Sondererlaubnis des Bundeswirtschaftsministers scheiterte, der nun Otto Graf Lambsdorff hieß und wiederum der FDP angehörte. Seit diesem Rückzug der Veba wurde die Ruhrgas, die einst vom Kohlebergbau zur Vermarktung des Kokereigases gegründet worden war, vollends von den Mineralölkonzernen beherrscht.

Der neue Gigant E.ON schickte sich nun an, dies rückgängig zu machen. Er wollte aber nicht nur die Gelsenberg AG wieder übernehmen – die als rein juristische Konstruktion die Ruhrgas-Beteiligung hielt und keinen einzigen Mitarbeiter beschäftigte – , sondern gleich die ganze Ruhrgas schlucken. Da er über gute politische Verbindungen verfügte, durfte er damit rechnen, alle Widerstände der Kartellbehörden außer Kraft setzen zu können. Der amtierende Bundeswirtschaftsminister Werner Müller (parteilos) war selber ein führender Manager des Veba-Konzerns gewesen und bezog deshalb seit 2002 sogar eine Pension von E.ON. Außerdem scheint der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) vorab seine Unterstützung signalisiert zu haben.

E.ON beantragt die komplette Übernahme der Ruhrgas

Als erstes beantragte der E.ON-Konzern im August 2001 die kartellrechtliche Genehmigung eines Tauschgeschäfts: Die BP sollte ihm die Gelsenberg AG und damit die Kontrolle über 22,5 Prozent an der Ruhrgas überlassen, wofür sie die Veba Oel AG mit der Tankstellen-Kette Aral erhielt. Danach schloß E.ON weitere Vereinbarungen mit der britischen Vodafone, RWE und Thyssengas. Im November 2001 hatte sich der Sromkonzern bereits soviele Anteile gesichert, daß er beim Bundeskartellamt die Absicht zur Übernahme der Mehrheit an der Ruhrgas anmelden konnte.

Das Bundeskartellamt äußerte unverzüglich schwerwiegende Bedenken gegen die geplante Übernahme, weil sie sowohl im Gas- als auch im Strombereich zur Verstärkung marktbeherrschender Stellungen führen würde. Im Januar 2002 untersagte es die Übernahme definitiv.

Das Veto des Bundeskartellamts war zu erwarten gewesen. E.ON verfügte aber offenbar über die Zusage der Bundesregierung, das Veto durch eine Sondererlaubnis des Bundeswirtschaftsministers außer Kraft zu setzen. Einspruch aus Brüssel war nicht zu befürchten, da E.ON mehr als zwei Drittel seines Umsatzes im Inland machte und deshalb nicht der Fusionskontrolle der EU unterlag. Und so stellte E.ON nun im Februar 2002 beim Bundeswirtschaftsministerium den Antrag auf Erteilung einer Sondererlaubnis.

Ministerium erteilt Genehmigung trotz Veto des Kartellamts und Warnungen der Monopolkommission

Da die Veba-Vergangenheit des Bundeswirtschaftsministers allgemein bekannt war, delegierte Werner Müller die Entscheidung über den Antrag an seinen Staatssekretär Alfred Tacke. Dies war allerdings nicht viel mehr als Kosmetik. Denn Tacke unterstand weiterhin der Weisungsbefugnis des Ministers und hatte bereits bei der Gründung von E.ON die gesamte Führungsspitze des Bundeskartellamts nach Berlin einbestellt, weil ihm die Auflagen für die Fusionserlaubnis zu hoch erschienen.

Inzwischen warnte auch die Monopolkommission vor einer Genehmigung. Die Übernahme der Ruhrgas durch E.ON lasse "besondes schwerwiegende Wettbewerbsbeeinträchtigungen" erwarten, hieß es in einem Sondergutachten der Kommission, das sie im Auftrag des Bundeswirtschaftsministeriums erarbeitet hatte und im Mai 2002 vorlegte.

Die Warnungen der Monopolkommission konnten Tacke indessen sowenig beirren wie der Einspruch des Bundeskartellamts. Am 5. Juli erteilte er die gewünschte Ministererlaubnis mit der Begründung, daß die gesamtwirtschaftlichen Vorteile der Fusion bedeutender seien als die vom Kartellamt festgestellten Wettbewerbsbeschränkungen. Die Fusion sichere die internationale Wettbewerbsfähigkeit der Ruhrgas und verbessere die Versorgungssicherheit der Bundesrepublik beim Erdgas. Damit seien die für die Erteilung einer Ministererlaubnis erforderlichen Gemeinwohlvorteile gegeben.

E.ON einigt sich mit Klägern außergerichtllich durch geheime Absprachen

Zum Vollzug der Genehmigung kam es indessen vorläufig nicht, da das Oberlandesgericht Düsseldorf dem Staatssekretär „gravierende Verfahrensfehler“ bescheinigte. Das Verfahren wurde deshalb neu aufgerollt, und im September 2002 genehmigte das Bundeswirtschaftsministerium die geplante Fusion mit einer leichten Verschärfung der Auflagen erneut. Das Oberlandesgericht Düsseldorf sah allerdings keinen Anlaß, das Vollzugsverbot für die Fusion aufzuheben, zumal auch die nachgeholte Anhörung „nicht ordnungsgemäß und dem Gesetz entsprechend durchgeführt worden“ sei. So zeichnete sich ein langwieriger Rechtsstreit ab, in dem der E.ON-Konzern und seine politischen Helfer schlechte Karten hatten, während die klagenden Konkurrenten hoffen durften, die Fusion mit juristischen Mitteln zu verhindern.

In dieser Situation beschritt der E.ON-Konzern den Weg einer außergerichtlichen Einigung, indem er den klagenden Konkurrenten millionenschwere Zugeständnisse machte und so ihren Widerstand abkaufte. Am 31. Januar 2003 zogen alle neun Unternehmen, die gegen die Ministererlaubnis geklagt hatten, ihre Klagen zurück, und noch am selben Tag konnte E.ON die Übernahme der Ruhrgas AG vollziehen.

Der genaue Umfang der Gegenleistungen, die E.ON den neun Unternehmen zusicherte, um die Ruhrgas AG doch noch übernehmen zu können, wurde nie bekannt. E.ON bezifferte sie pauschal mit 90 Millionen Euro, was vermutlich stark untertrieben war bzw. dem tatsächlichen Gewicht der Zugeständnisse nicht gerecht wurde. Zum Beispiel war der EnBW die Überlassung der Ruhrgas-Beteiligung an der Mannheimer MVV Energie eingeräumt worden, womit diese eine gute Basis für den weiteren Ausbau dieser Beteiligung und die Einbindung der MVV in die Strategie der EnBW gehabt hätte. Das Bundeskartellamt erlaubte deshalb die Abgabe der 15-Prozent-Beteiligung an die EnBW Ende 2004 nur unter der Bedingung, daß diese keinen Sitz im Aufsichtsrat erhielt und auf den Erwerb weiterer Anteile aus dem Streubesitz verzichtete.

EWE übernimmt E.ON-Anteile an VNG

Die Ministererlaubnis war mit der Auflage verbunden, daß sich E.ON aus den regionalen Ferngasgesellschaften VNG und Bayerngas, den Regionalversorgern EWE und swb sowie Gelsenwasser zurückziehen müsse. Die EWE übernahm daraufhin Ende 2003 sowohl die E.ON-Beteiligung an den swb (ehemals Bremer Stadtwerke) als auch den größten Teil des E.ON-Pakets an der ostdeutschen Verbundnetz Gas (VNG). Zusätzlich zum eigenen Erdgas-Geschäft mit einem Versorgungsnetz von 52400 Kilometer Länge erlangte EWE damit die unternehmerische Führung beim ostdeutschen Transportnetzbetreiber und rivalisierte fortan mit den Kommunalversorgern in Köln, München und Mannheim um den ersten Platz in der Regionalliga der größten deutschen Energieunternehmen.

Die Monopolkommission verfolgte mit Entsetzen, wie E.ON mit politischer Unterstützung zum Platzhirsch des deutschen Marktes aufrückte, der sowohl bei Strom als auch bei Gas an der Quelle saß und über bundesweite Transportnetze zur Belieferung von Weiterverteilern und Endkunden verfügte. In ihrem 15. Hauptgutachten, das sie im Juli 2004 veröffentlichte, kritisierte sie mit ungewöhnlicher Deutlichkeit und Schärfe die Wirtschaftspolitik der rot-grünen Bundesregierung unter Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD): Es sei eine falsche Vorstellung, über die Begünstigung "nationaler Champions" die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Volkswirtschaft insgesamt stärken zu wollen. Vielmehr führe dies notwendigerweise zu einer Belastung der Wettbewerbsfähigkeit anderer Unternehmen innerhalb des nationalen Marktes. Die Monopolkommission betrachte die Entwicklung der Marktstrukturen in der Elektrizitätswirtschaft insgesamt "mit großer Sorge".