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Die europäischen Ferngasnetze 1960 und 2004

Das Netz bleibt ein natürliches Monopol

Die Deregulierung der Gasversorgung setzt deshalb eine strikte Regulierung der Leitungen voraus

Wie die Stromnetze kann man Gasnetze nicht beliebig durch die Landschaft verlegen. Zum einen ist ihr Bau aufwendig und teuer. Vor allem aber ist die Verlegung konkurrierender Netze in aller Regel nicht möglich. Die deutschen Netzbetreiber verfügen insoweit über ein "natürliches Monopol", wie das die Volkswirte nennen. Zumindest gilt das für die reinen Verteilunternehmen.

Bei Ferngasunternehmen wird dagegen mitunter angenommen, daß sie zueinander in Konkurrenz treten könnten. Diese Ansicht hat sogar Eingang in die Gasnetzzugangsverordnung gefunden, die Ferngasunternehmen von der Vorab-Genehmigung der Netzentgelte befreit und auch von der sogenannten Anreizregulierung ausnimmt, sofern sie "zu einem überwiegenden Teil wirksamem oder potenziellem Leitungswettbewerb ausgesetzt" seien.

Den angeblichen Wettbewerb auf der Ferngasstufe gab es allerdings gar nicht. Jedenfalls kam die Bundesnetzagentur zu dieser Feststellung. Ende 2008 begann sie deshalb damit, auch die zehn Ferngas-Netzbetreiber, die angeblich in Leitungswettbewerb zueinander standen, in die Regulierung miteinzubeziehen. Die Monopolkommission und die Gashändler waren schon lange der Meinung, daß diese Freistellungsmöglichkeit jeder Berechtigung entbehrte.

Erzeugung und Verkauf werden vom Netzbetrieb getrennt

Früher waren auch die Erzeugung und der Verkauf von Strom und Gas in das natürliche Monopol des Netzbetriebs eingebunden. Erzeuger, Lieferant und Netzbetreiber waren also identisch. Die Verbraucher konnten sich nur vom jeweils zuständigen Versorger beliefern lassen. Um einen Mißbrauch dieser Monopolstellung zu verhindern, unterlagen die Energieversorger staatlicher Aufsicht. Sie hatten bestimmte Versorgungspflichten zu erfüllen und mußten sich ihre Tarife genehmigen lassen.

In den achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts setzte sich dann bei den Energiepolitikern die Überzeugung durch, daß Erzeugung und Verkauf nicht notwendig mit dem Netzbetrieb verbunden sein müssen. Man hielt deren wirtschaftliche Trennung vom Netzbetrieb nicht nur für praktisch durchführbar, sondern auch für volkswirtschaftlich sinnvoll. Man glaubte, daß in den entflochtenen Bereiche dann Wettbewerb entstünde, was zu sinkenden Preisen führe.

So kam es zu entsprechenden Richtlinien der EU-Kommission für die Liberalisierung des Energie-Binnenmarktes der Gemeinschaft, die ab 1998 in die deutsche Gesetzgebung übernommen wurden. Diese Richtlinien betrafen vor allem die Regelung des Zugangs zu den Netzen, denn der Netzbetrieb ließ sich nicht "deregulieren", da er weiterhin ein natürliches Monopol darstellte. Er mußte vielmehr nun in besonderem Maße reguliert werden, damit die Netzbetreiber ihren Kunden nicht zu hohe Preise für die Netznutzung abverlangten oder einzelne Kunden bevorzugten.

Deutscher Sonderweg hat überhöhte Netzentgelte zur Folge

Alle EU-Staaten überließen die Regulierung des Netzbetriebs besonderen Behörden, die bevollmächtigt waren, die Details des Zugangs und die Höhe der Netzentgelte zu bestimmen. Nur Deutschland beschritt den Sonderweg des "verhandelten Netzzugangs", bei dem es den Verbänden der Energiewirtschaft überlassen blieb, die Konditionen auszuhandeln. Da die etablierte Stromwirtschaft über die stärkere Verhandlungsposition verfügte, führte dies beim Strom jahrelang zu überhöhten Netzentgelten und zur faktischen Diskriminierung von Wettbewerbern. Beim Gas kamen diese sogenannten Verbändevereinbarungen erst mit erheblicher Verzögerung und mit noch viel größeren Mängeln zustande. Einen Lieferantenwechsel konnten hier allenfalls Großverbraucher vollziehen. Für Haushalte und Gewerbe gab es viele Jahre lang nicht einmal theoretisch die Möglichkeit des Wechsels.

Steigende Preise statt Wettbewerb In allen EU-Staaten

Die Situation war nicht nur in Deutschland, sondern europaweit unbefriedigend. Überall stiegen die Preise, anstatt zu sinken, wie dies die Verfechter der Deregulierung erwartet hatten. Das hatte auch mit neuen staatlichen Belastungen der Energiepreise zu tun, die es vorher nicht gab. Zum größeren Teil lag es aber daran, daß die marktbeherrschenden Energiekonzerne ihre Kunden abschöpften, soweit es nur ging, anstatt sich über die Preise Konkurrenz zu machen und dadurch die eigenen Gewinne zu minimieren. Sie konnten deshalb auch regelmäßig Geschäftsberichte mit Milliardengewinnen vorweisen, aus denen sie überhaupt keinen Hehl machten, da davon der Aktienkurs abhing. Zugleich rechneten sie sich aber auch arm, wenn die Situation danach war, und sprachen beschönigend von "notwendigen Preisanpassungen", wenn sie den Kunden über Gebühr in die Tasche griffen.

Auch Deutschland muß endlich eine Regulierungsbehörde einrichten


Das Gebäude der Bundesnetzagentur in Bonn

Die EU verschärfte deshalb im Sommer 2003 die Vorschriften, um wenigstens das Problem der Diskriminierung bei der Netznutzung in den Griff zu bekommen. Ihre neuen Richtlinien zur Beschleunigung des Binnenmarkts bei Strom und Gas erlangten in Deutschland im Juli 2005 Gesetzeskraft. Fortan genügte es nicht mehr, wenn die Energiekonzerne den Netzbetrieb nur intern vom übrigen Geschäft trennten. Er mußte nun auch einem rechtlich eigenständigen Unternehmen übertragen werden. Vor allem aber hatten nun alle Mitgliedsstaaten eine Regulierungsbehörde einzurichten, die den Netzzugang und die Höhe der Entgelte festlegte.

Damit verschwand in Deutschland die Praxis der Verbändevereinbarungen. Die Bundesnetzagentur als neue Regulierungsbehörde für Strom und Gas kürzte die von den Netzbetreibern beantragten und bisher verlangten Entgelte empfindlich. (Siehe "Vom verhandelten Netzzugang zur Anreizregulierung")

Regulierte Netze verlieren an strategischem Wert

Mit dem Wirksamwerden der Regulierung verloren die Netze ihre frühere strategische Bedeutung für die Konzerne, so daß sich E.ON Anfang 2008 sogar bereit erklärte, seine Strom-Transportleitungen einem unabhängigen Netzbetreiber zu verkaufen, wie dies die EU-Kommission seit 2007 verlangte. Für zusätzlichen Druck sorgten in diesem Fall Beweise für Kartellabsprachen, die der Kommission bei Durchsuchungen von Energiekonzernen in die Hände gefallen waren.

Eine eigentumsrechtliche Abtrennung der Gastransportnetze verlangte die Kommission vorläufig nicht. Dennoch teilte der RWE-Konzern am 31. Mai 2008 mit, daß er sein deutsches Gas-Übertragungsnetz binnen zwei Jahren an einen unabhängigen Dritten veräußern wolle. Auch RWE wollte damit Sanktionen vorbeugen, denn als Gegenleistung für eine entsprechende Verpflichtung sollte die Kommission ein seit April 2007 laufendes kartellrechtliche Mißbrauchsverfahren im Bereich Erdgas einstellen. Für das rund 4.100 Kilometer lange RWE-Gastransportnetz interessierte sich sogleich der niederländische Netzbetreiber Gasunie.

Das große Geld verdienen Lieferanten und Importeure

Die Energiekonzerne schöpften ihre Gewinne nun hauptsächlich aus jenem Bereich, der nicht von der Regulierung erfaßt wurde, und hier vor allem aus der Erzeugung. Beim Strom waren das die Kraftwerke, beim Gas die Förderung und der Import. Ein wirklicher Wettbewerb entstand auch hier nicht, da der kleine Kreis der Lieferanten und Importeure an fallenden Preisen kein Interesse haben konnte. Er brauchte sich auch nicht um neue Kunden zu bemühen. Der Absatz war durch die Beherrschung von Ferngasunternehmen, kapitalmäßige Beteiligung an Endverteilern und langfristige Verträge gesichert. Die fehlende Regulierung der obersten Ferngas-Stufe tat ein übriges, um den Energiekonzernen prächtige Gewinne zu sichern.

Die Gaspreise blieben ohnehin auf allen Ebenen an die Entwicklung der Ölpreise gekoppelt. Auf der obersten Ebene beruhte diese willkürliche Koppelung auf vertraglichen Vereinbarungen mit den ausländischen Lieferanten und den inländischen Förderern. Das Bundeskartellamt durfte nur überprüfen – und auch das erst seit Ende 2007 – , ob Preise für Strom und Gas die tatsächlichen Kosten in "unangemessener Weise übschreiten". Die Ölpreisklauseln wurden davon nicht erfaßt, denn es handelte sich hier für den Lieferanten um tatsächliche Kosten, die der Vorlieferant an ihn weitergereicht hatte. Keine tatsächliche Kostenerhöhung gab es allerdings am Beginn der Lieferantenkette. Hier strichen die Mineralölkonzerne, die in der Regel die Erdgasförderung kontrollierten, durch die Preiskoppelung zusätzliche Milliardengewinne ein.