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Wie diese Grafik zeigt, bestand 1970 erst gut die Hälfte des Gesamtaufkommens aus Erdgas, wobei die inländische Förderung die Exporte bei weitem überwog. Dann aber nahmen die Einfuhren stark zu, während die inländische Förderung im großen und ganzen stagnierte. Zugleich verringerten sich die Anteile von Kohlengas und sonstigen Gasen am Gesamtaufkommen bis zur Bedeutungslosigkeit. Zum Schluß wurde in der Statistik des Bundesverbands der Deutschen Gas- und Wasserwirtschaft (BGW), der diese Zahlen entstammen, nur noch das Erdgasaufkommen registriert.

Die Entstehung des Erdgas-Verbundnetzes

Das Erdgas ersetzte nicht nur das bisherige Stadtgas bzw. Kokereigas. Zugleich begann damit ein grundlegender Wandel der bundesdeutschen und europäischen Gaswirtschaft. Die Versorgung des deutschen Marktes aus ausländischen Quellen veränderte die herkömmliche Struktur der Gaswirtschaft in technischer wie wirtschaftlicher Hinsicht. Die neu gebauten und vorhandenen Gasleitungen wuchsen nunmehr in ähnlicher Weise zusammen und ergaben ein grenzübergreifendes Verbundnetz wie zuvor schon die Netze der Stromwirtschaft.

Bisher war die Gasversorgung lokal und regional organisiert. Die Ferngasnetze beschränkten sich auf den Umkreis der Montanreviere. Im wesentlichen handelte es sich um die Netze von Ruhrgas, Thyssengas, Saar Ferngas, VEW, Westfälische Ferngas und Ferngas Salzgitter. Alle diese Unternehmen waren vor 1945 gegründet worden.

Neue Ferngasgesellschaften zur Abdeckung des gesamten Bundesgebiets

Nun entstanden auch in anderen Landesteilen Ferngasgesellschaften, um das von der Ruhrgas importierte holländische Erdgas und die neu erschlossenen inländischen Vorkommen an die Ortsgasgesellschaften weiterzuverteilen. Schon 1959 gründeten inländische Erdgas-Förderer die Erdgas-Münster GmbH. 1961 entstanden in Hessen und Baden-Württemberg die Gasunion und die Gasversorgung Süddeutschland als kommunale Ferngasgesellschaften. 1962 folgte als weitere kommunale Gründung die Bayerische Ferngasgesellschaft mbH - Bayerngas. Außerdem übernahmen Ruhrgas und Saar Ferngas die Kokereigas-Leitungen der Amberger Luitpoldhütte und machten daraus die Ferngas Nordbayern AG.

Insgesamt gab es damit in der alten Bundesrepublik 16 Ferngasunternehmen, die nach den Ermittlungen der Monopolkommission folgende Marktanteile besaßen:

Unternehmen Marktanteil 1970 in % Marktanteil 1974 in %
Ruhrgas* 27,5 36,1
BEB 18,7 18,6
EVG Münster 12,3 8,4
Mobil Oil 9,6 6,4
Thyssengas* 6,8 5,7
Gasversorgung Süddeutschland* 2,6 4,0
Wintershall 4,7 2,9
VEW 2,4 2,8
Saar Ferngas* 2,6 2,6
Gas-Union* 1,9 2,6
EWE 1,8 2,5
Salzgitter Ferngas* 3,1 2,3
Bayerische Ferngas* 0,3 1,9
Westfälische Ferngas* 2,0 1,7
Ferngas Nordbayern* 0,7 0,9
Preussag 3,0 0,6
insgesamt in % 100 100
insgesamt absolut 35131,4 Mio. Kubikmeter 73788,8 Mio. Kubikmeter


Die hier genannten Marktanteile enthielten allerdings auch Doppelzählungen, da einzelne Unternehmen von anderen beliefert wurden. Die Konzentration der Gasverteilung war also höher, als die Zahlen erkennen lassen. Immerhin wird deutlich, daß die Ruhrgas AG ihren Marktanteil binnen vier Jahren beträchtlich ausweiten konnte.

Neun der 16 Unternehmen – sie sind in der obenstehenden Tabelle mit einem Stern (*) markiert – betrachtete die Monopolkommission als "Ferngasunternehmen im engeren Sinn", da sie über keine eigene Erdgas-Förderung verfügten. Wenn man nur sie miteinander verglich (was auch das Risiko von Doppelzählungen minimierte), erhöhte sich der Marktanteil der Ruhrgas auf 58 Prozent im Jahr 1970 und auf 62,5 Prozent im Jahr 1974.

Rund 500 örtliche Verteilunternehmen

Der Anteil des Kokereigases am gesamten Endverbrauch betrug 1974 nur noch 11,5 Prozent. Im übrigen deckte Erdgas aus holländischer und inländischer Förderung den Bedarf. Die 16 Ferngasunternehmen belieferten 43 Prozent des Endkunden-Marktes direkt, wobei Ruhrgas (18,0%) mit großem Abstand vor BEB (5,4%) und EVG Münster (4,6%) rangierte. Unterhalb der Ferngas-Ebene bedienten rund 500 örtlliche Verteilunternehmen die restlichen 45,6 Prozent des Endkunden-Marktes. In der Regel handelte es sich um Stadtwerke, die ihre Haushalts- und Gewerbekunden neben Strom und Wasser auch mit Gas versorgten.

Die örtlichen Verteiler besaßen zwar in ihrem Bereich die Leitungen zu den Endkunden und mußten insoweit keine Konkurrenz durch andere Anbieter befürchten. Sie waren aber ihrerseits von den Ferngasgesellschaften abhängig, die das Gas in die jeweilige Region transportierten. Die Ferngasgesellschaften hingen wiederum von den Förderunternehmen ab, die das Erdgas in Holland oder Norddeutschland in die Leitungen einspeisten. Letztendlich wurden damit alle drei Stufen der Gasversorgung von den Mineralölkonzernen kontrolliert, die nicht nur die Fördergesellschaften beherrschten, sondern auch bei den strategisch wichtigen Verteilern Ruhrgas und Thyssengas das Sagen hatten. Die mehrheitlich der öffentlichen Hand gehörenden Gasversorger waren dagegen durchweg regionale oder lokale Verteiler.

Dieses Machtgefälle äußerte sich auch darin, daß sich die Ferngasgesellschaften in ihren Verträgen mit den Stadtwerken oft vorbehielten, größere Kunden direkt zu versorgen. Im übrigen sicherten sie ihre Einflußsphären untereinander durch sogenannte Demarkationsverträge ab. Damit war jeder Ansatz zur Konkurrenz ausgeschaltet, selbst wenn die Belieferung eines Verteilers durch zwei oder mehr Ferngasunternehmen technisch möglich gewesen wäre.

Länge des Gas-Rohrnetzes in zwei Jahrzehnten mehr als verdoppelt

Die 16 Ferngasgesellschaften und 500 örtlichen Verteiler verfügten Anfang der siebziger Jahre über ein Rohrnetz, das insgesamt rund 100.000 Kilometer lang war. In den folgenden zwanzig Jahren wurden vor allem Leitungen für Hoch- und Mitteldruck neu gebaut, um die Bundesrepublik flächendeckend mit einem Transport- und Verteilnetz zu überziehen. Die Gesamtlänge des Rohrnetzes erhöhte sich dadurch um mehr als das Doppelte:

Erdgas gilt als Übergangslösung zwischen Kohle und Kernenergie

Über die begrenzte Verfügbarkeit des Erdgases machte man sich anfangs keine Gedanken. Vielmehr glaubte man noch, daß Atomkraftwerke eines Tages ohnehin sämtliche Energieprobleme lösen würden. Vor diesem Hintergrund erschien die Ausbeutung der neuentdeckten niederländischen Erdgasfelder als Übergangslösung, mit der man sich sogar beeilen mußte, um die sich bietenden Marktchancen nicht zu verpassen. Die erste Ölkrise der Jahre 1973/1974 ließ es zudem ratsam erscheinen, die Abhängigkeit von den arabischen Ölquellen durch vermehrten Einsatz von Erdgas zu verringern.

Eine weitere Erwartung war damals, die Kernenergie durch Auskoppelung von Prozeßwärme für die Kohlevergasung verwenden zu können. So findet sich noch im ersten Hauptgutachten der Monopolkommission für die Jahre 1973 bis 1975 der Hinweis auf die geplanten Hochtemperaturreaktoren, die neben Fernwärme auch die "Vergasung von Braun- und Steinkohle zu Prozeßgas und zu synthetischem Naturgas (SNG) als Erdgasersatz" ermöglichen würden. Allerdings sei erst ab 1985 mit einer Auswirkung auf die Energiemärkte zu rechnen. Bis dahin werde die Bedeutung des Erdgases noch zunehmen. – Auch dies eine falsche Einschätzung, wie wir heute wissen.