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Erdgas-Reklame aus dem Jahr 1968
An sich war Erdgas nichts neues. Schon die Antike kannte Feuer, die von Gasen aus Erdspalten genährt wurden. Seitdem man systematisch nach Erdöl zu bohren begann, stieß man häufig auf Erdgas, das entweder zusammen mit dem Öl als "nasses Erdgas" aus der Tiefe kam oder als "trockenes Erdgas" ein separates Vorkommen bildete. Die Nutzung solcher Erdgasquellen beschränkte sich aber bis ins 20. Jahrhundert im wesentlichen auf die USA. Dort wurde schon 1821 das Dorf Fredonia mit Erdgas beleuchtet. Später verwendete man Erdgas in größerem Umfang zum Heizen und für industrielle Zwecke. Damit nutzte man den eigentlichen Vorteil des Brennstoffs, dessen Heizwert gegenüber Leuchtgas wesentlich höher war. Als Ersatz für Petroleumlampen oder gar elektrisches Licht eignete sich Erdgas dagegen weniger, da die bläuliche Flamme nur etwa halbsoviel Helligkeit erzeugte wie Leuchtgas. Mit der Erfindung des Gas-Glühstrumpfs konnte das Erdgas aber auch hier seinen größeren Heizwert ausspielen und als Lichtquelle dienen.
In Deutschland gab es, anders als in USA, nur spärliche Erdöl- und Erdgasvorkommen. Man suchte zunächst auch gar nicht nach Erdgas, da genügend Gas aus Steinkohle zur Verfügung stand. Als man bei einer Brunnenbohrung 1910 in Hamburg erstmals auf Erdgas stieß, wußte man damit nichts anzufangen. Ebenfalls nur zufällig, auf der Suche nach Erdöl, stieß man 1938 bei Bad Bentheim nahe der holländischen Grenze auf Erdgas. Die Kriegs-und Mangelwirtschaft des "Dritten Reichs" konnte jeden Rohstoff gut gebrauchen. Deshalb baute man in den vierziger Jahren eine Leitung zu den Chemischen Werken Hüls, um das Erdgas dort zu verwerten.
Anfang der fünfziger Jahre wurde in der DDR ein Erdgasvorkommen bei Gommern in der Nähe von Magdeburg entdeckt und ab 1968 für industrielle Zwecke genutzt. Dieses Erdgas war eher von schlechter Qualität, die Förderung aufwendig und wenig ergiebig. Immerhin wußte man aber nun, daß in einem weiten Bogen zwischen Sachsen-Anhalt und den Niederlanden sowohl Erdöl als auch Erdgas zu finden war.
Und so kam es dann 1959 zur Entdeckung eines großen Erdgasfeldes bei Groningen in den Niederlanden. Die Ergiebigkeit des Feldes lag weit über dem Eigenbedarf der Niederlande, die bisher sogar Kokereigas von der Ruhr bezogen hatten. Die Niederlande wurden zum ersten großen Erdgas-Exporteur Europas. 1963 begannen die Lieferungen nach Deutschland. Ab 1973 traten Rußland und ab 1977 Norwegen als weitere Lieferanten auf den Plan. Hinzu kamen inländische Erdgas-Vorkommen in Norddeutschland, die ab den sechziger Jahren erschlossen wurden.
Vorhandene und geplante Transportleitungen für Erdgas 1968. Soeben wurde Mannheim als erste Großstadt in Süddeutschland angeschlossen. |
Die inländische Förderung an Erdgas war bis dahin sehr gering gewesen. Sie beschränkte sich noch 1966 auf etwa sechs Prozent des gesamten Gasaufkommens. Dieses Erdgas wurde fast durchweg für industrielle Zwecke oder zur Stromerzeugung verbraucht. Nur ein kleiner Teil wurde zu Stadtgas aufbereitet. Dies konnte in geringeren Mengen durch direkte Beimischung erfolgen, wenn man den höheren Heizwert durch Beimengung von Luft kompensierte. Oder man bediente sich des aufwendigeren chemischen Verfahrens zur Spaltung von Kohlenwasserstoffen, wie es auch für die Aufbereitung von Raffineriegas zu Stadtgas verwendet wurde.
Parallel zur Entdeckung der holländischen Vorkommen nahm nun auch die inländische Förderung einen bemerkenswerten Aufschwung. Als erste Großstadt der Bundesrepublik stellte Oldenburg im Jahre 1959 komplett auf Erdgas um. Das Gas stammte aus dem 45 Kilometer entfernten Lastrup, wo es bei der Erdöl-Förderung anfiel. Es handelte sich hier aber um einen Einzelfall, der auf die günstige Lage zu einem inländischen Vorkommen zurückzuführen war. Denn eine Umstellung war nur möglich, wenn die Versorgung langfristig gesichert war. Man konnte nicht einfach Erdgas anstelle von Stadtgas in die Leitungen einspeisen. Erdgas hatte einen weit höheren Heizwert und erforderte einen höheren Betriebsdruck. Deshalb mußten neue Geräte her oder zumindest Düsen und Dichtungen ausgetauscht werden. Auch das Leitungsnetz mußte den neuen Bedingungen angepaßt werden. Hohe Betriebsverluste ergaben sich sonst vor allem bei den alten Gußleitungen, da deren Stemmuffen durch das Erdgas trockneten und schrumpften.
Die Umstellung weiterer Städte kam ein paar Jahre später in Gang, nachdem die Nutzung der neuentdeckten holländischen Vorkommen begonnen hatte. Noch 1968 wurden erst etwa zehn Prozent der insgesamt 7,21 gasversorgten Haushalte der Bundesrepublik mit Erdgas beliefert. Dann aber ging es sowohl mit der Umstellung auf Erdgas wie auch mit dem Gasverbrauch insgesamt steil aufwärts.
Das Erdgas aus Holland hatte einen annähernd doppelt so hohen Heizwert wie das bisher verwendete Stadtgas. Ein besonders publikumswirksamer Vorteil war, das ihm das giftige Kohlenoxid fehlte. Zur Geruchserkennung wurde ihm der säuerlich schmeckende Stoff Tetrahydrothiophen zugesetzt.
Ende der siebziger Jahre konnte die Umstellung auf Erdgas als abgeschlossen gelten. Die wichtigste Ausnahme bildete West-Berlin, wo man beim Kokereigas blieb und viele Seitenstraßen weiterhin vom schummerigen Licht der Gaslaternen erhellt wurden. Eine Erdgas-Versorgung aus Holland oder Norddeutschland war hier aus politischen Gründen nicht möglich. Ersatzweise untersuchte man schon in den sechziger Jahren systematisch den Grunewald und sonstigen West-Berliner Untergrund, um möglicherweise auf dem eigenen Territorium fündig zu werden. Die norddeutschen Vorkommen erstreckten sich indessen nicht so weit nach Osten, wie man gehofft hatte.
Ab 1985 verfügte dann auch Westberlin wie Westdeutschland über Zugang zu russischem Erdgas. Noch immer war aber die Energieversorgung der Stadt eine eminent politische Frage. Um nicht in allzugroße Abhängigkeit von den Sowjets zu geraten, wurde das russische Erdgas zu herkömmlichem Stadtgas gespalten und zur Füllung eines unterirdischen Speichers im Grunewald verwendet, der einen ganzen Jahresverbrauch aufnehmen konnte. Die eigentliche Umstellung auf Erdgas begann erst nach dem Fall der Mauer. Mit der Stillegung des Gaswerks Mariendorf im Mai 1996 endete dann auch in Berlin nach 170 Jahren die Ära des Stadtgases.