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Nach dem ersten Weltkrieg behinderten die Wirtschaftskrise und die französische Besetzung des Ruhrgebiets zunächst den Absatz von Steinkohle und Koks. Manche Beobachter glaubten schon eine allgemeine Krise der Kohle feststellen zu können, da Erdöl und Elektrizität die kohlebefeuerten Dampfkessel abzulösen begannen. Ab 1926 ging es dann aber auch für Bergbau und Hütten wieder aufwärts. Entsprechend wuchs der Bedarf an Koks. Die Kokereien konnten inzwischen noch mehr "Starkgas" für die Verwendung als Stadtgas erübrigen. Was aber nicht mitwuchs, waren die Absatzmöglichkeiten.
Das "Rheinisch-Westfälische Kohle-Syndikat" beschloß deshalb am 29. Juli 1926 die Gründung einer eigenen Ferngasgesellschaft des Ruhrbergbaues. Am 11. Oktober 1926 entstand so die "Aktiengesellschaft für Kohleverwertung". Aufsichtsratsvorsitzender wurde Albert Vögler, Generaldirektor der Vereinigten Stahlwerke AG. Den Vorstandsvorsitz übernahm Alfred Pott, Generaldirektor des Bergbaubereichs im Stinnes Konzern. Beide repräsentierten persönlich wie branchenmäßig die treibenden Kräfte des Projekts.
Das Gründungskapital der "Aktiengesellschaft für Kohleverwertung" betrug nur 162.900 Reichsmark. Das war ein Tausendstel der Summe, über die das Kohlensyndikat verfügte, das ebenfalls als Aktiengesellschaft organisiert war. Die Neugründung war deshalb zunächst nicht mehr als eine Studiengesellschaft. Am 2. März 1927 erhöhte eine Aktionärsversammlung das Grundkapital auf 25 Millionen Reichsmark. Damit war aus der Studien- eine Betriebsgesellschaft geworden. Als erstes übernahm sie zum 1. April das Gas-Leitungsnetz des RWE, das im Norden bis zur Lippe und im Süden bis zur Wupper reichte. Am 31. Mai 1928 beschloß eine weitere Aktionärsversammlung die Umbenennung des Unternehmens in "Ruhrgas Aktiengesellschaft". Außerdem wurde eine Auslandsanleihe von zwölf Millionen Dollar aufgenommen, um die bevorstehenden Ausgaben finanzieren zu können.
Noch im selben Jahr, in dem die neue Ruhrgas AG die Gasleitungen des RWE übernahm, schloß sie Lieferverträge mit den im Norden und Osten angrenzenden Gebietsversorgern. Das war zum einen die Westfälische Ferngas AG, die am 24. Juli 1928 von Kommunen zur Versorgung Süd- und Ostwestfalens mit Ferngas gegründet wurde. Zum anderen handelte es sich um die Vereinigte Gaswerke AG (VGW), die 1927 als Tochter der "Elektrizitätswerke Westfalen (VEW) entstand, um in deren Gebiet den Ausbau der Ferngasversorgung zu forcieren. Die VGW verband ihre lokalen Verteilernetze durch Fernleitungen, legte zahlreiche örtliche Gaswerke still und belieferte ihre Abnehmer fortan mit Kokereigas von der Ruhr.
Bau einer Gasleitung 1930 |
Weitere Verträge schloß die Ruhrgas AG mit Hannover, Düsseldorf, Köln und anderen Städten. 1936 war die Verbindung zu den Kokereigas-Leitungen des Aachener Reviers hergestellt. Das Rohrnetz erreichte inzwischen eine Länge von 1.128 Kilometer und deckte mit der Einspeisung von zwei Milliarden Kubikmeter Gas aus 32 Kokereien rund ein Fünftel des deutschen Gasverbrauchs. Ein paar Jahre später konnten im Süden sogar die Opel-Werke in Rüsselsheim beliefert werden. 1943 erreichte die Ruhrgas AG einen Rekordabsatz von 3343 Millionen Kubikmeter Gas aus 51 Kokereien. Das war fast fünfzigmal soviel wie im ersten Betriebsjahr 1927.
Ab 1944 machten Bombenschäden zunehmend auch den Gaserzeugern schwer zu schaffen. Von den Ruhrgas-Kokereien waren nur noch 32 lieferfähig. Die Produktion blieb aber mit 3206 Millionen Kubikmetern erstaunlich hoch. Erst 1945 stürzte sie auf ein Zehntel des Vorjahres ab. Zeitweilig speisten nur noch drei Kokereien ein.
Aber schon 1946 konnte die Ruhrgas ihr Rohrleitungsnetz größtenteils wieder hergestellen und zusammen mit Thyssen sogar den Export nach Holland aufnehmen. Anfang der fünfziger Jahre wurde der Rekordabsatz von 1943 wieder erreicht und übertroffen. Die Ruhrgas AG erlebte nun eine neue Phase der Expansion als führendes Ferngasunternehmen der Bundesrepublik Deutschland.